Die Künstlerkolonie in Eutingen
Auf den Spuren der 1908 gegründeten, im Volksmund Künstlerkolonie genannten, Villen Pforzheimer Dozenten der Goldschmiede- und Kunstgewerbeschule

Vortrag
Christina Klittich M.A., Kunsthistorikerin
anlässlich der 6. Matinee am 09.11.2003

Kaum jemandem ist bekannt, daß es in Eutingen eine Künstlerkolonie mit Bauten aus der
Zeit des Jugendstils gibt. Das überrascht nicht, da nur wenige öffentlich zugängliche Quellen
existieren bzw. erhalten sind. Auch die Ortschronik von Eutingen würdigt die Künstlerkolonie
in nur wenigen Sätzen. Die Informationen zu meinem Vortrag beruhen im Wesentlichen auf den Aufzeichnungen von Peter Paul Pfeiffer, einem der Gründungsmitglieder, und den Erinnerungen
seiner Tochter Marianne Pfeiffer. Vor einigen Jahren entstand eine nicht veröffentlichte Arbeit
über die Siedlung, in der die wichtigsten Fakten zusammengetragen sind.

Entstehung und Geschichte

Als 1908 einige Dozenten der Pforzheimer Goldschmiede- und Kunstgewerbeschule die
wertlosen und ungepflegten Steinkleeäcker auf der „Hohen Steig“ oberhalb des Eutinger
Ortskerns erwarben, stieß dies bei der Eutinger Bevölkerung auf Verwunderung.

Die neuen Besitzer waren Emil Bäuerle, Carl Kabis, Georg Kleemann, Paul F. Meyer,
Julius Müller-Salem, Peter Paul Pfeiffer, August Wehrle sowie der Chemiker Karl Pfeil
und der Kaufmann Burkhard.

Die Grundstücke hatten unterschiedliche Größen. Einige Grundstücke lagen an zwei Feldwegen
und hatten dadurch Zugänge von zwei Seiten.

Bevor die ruhesuchenden Akademiker und ihre Familien mit dem Bauen beginnen konnten,
mußten etliche Auflagen erfüllt werden: Zufahrtswege, Abwassergruben und ein Wasser-
reservoir mußten auf eigene Kosten erstellt werden. Die Kosten zur Errichtung des
Reservoirs teilten sich die Grundstückseigentümer „Die Kosten betrugen erstmalig für
jeden 550 Mk. Wie das Reservoir mussten wir auch aus den uferlosen Feldwegen
fahrbare Wege ohne Kostenschuß der Gemeinde erstellen. 100 000 Mk wurden zuerst
verbaut, zu 80 – 90% waren Eutinger Handwerker zugezogen“ schrieb Peter Paul Pfeiffer
an das Badische Bezirksamt Pforzheim 1931.

1909 waren die ersten Häuser in den großzügigen Gartenanlagen in sonniger Lage
bezugsfertig. Die ersten Bewohner waren die Künstler Peter Paul Pfeiffer,
Julius Müller-Salem, Georg Kleemann und Emil Bäuerle und der Chemiker Dr. Pfeil,
der zunächst nur ein Sommerhaus besaß, das 1911 zum Einfamilienhaus erweitert wurde.
Elektrisches Licht, das im Winter 1909/10 von der Gemeinde installiert wurde, ersetzte die Petroleumlampen. Eine Straßenbeleuchtung gab es nicht.

1911/12 wurden die Wohnhäuser des Landwirts Kröner und des Studienrats und
Kunsterziehers Jakob Müller von der Hildaschule erbaut. Somit standen sieben Einfamilien-
häuser vor dem 1. Weltkrieg auf der Höhe. Das Haus von Müller steht inzwischen unter
Denkmalschutz.

1928 wurde das Wasserreservoir von der Gemeinde gekauft. 1929/30 baute der Tiermaler
und damalige Lehrer an der Goldschmiedeschule Erwin Aichele auf der Hohen Steig.
1930 errichtete die Gemeinde ein neues, größeres Wasserreservoir.

Die Zufahrtsstraßen wurden von Dr. Pfeil und Peter Paul Pfeiffer gepflegt. Bei starkem
Regen wurde die heutige Hohe Steige, genannt Hohle, immer wieder ausgeschwemmt.
Sie mußte mit Steinen und Schlacken aufgefüllt werden, da sonst der Kohlenhändler mit
seinem Koks und Brikett beladenen Pferdewagen nicht zur Kolonie gelangt wäre.
Bis 1964 war die heutige Straße „Künstlerkolonie“ ein Feldweg.

Erst 1953 wurde der im Volksmund gebräuchliche Name „Künstlerkolonie“ als
Straßenbezeichnung durch einen Gemeinderatsbeschluß amtlich. Bei Bezug der ersten
Häuser 1909 trug die Siedlung den Gewannamen „Hohe Steig“. Von den Eutingern wurde
sie u.a. auch „Villen-Kolonie“ oder „Villen Hohe Steig“ genannt. Der vordere Teil der
Künstlerkolonie bis zur Hohen Steige heißt heute zur Erinnerung an den berühmten Tiermaler
„Erwin Aichele Straße“, der Ehrenbürger von Eutingen war.

Gebäude

Architekt der ersten fünf Häuser war vermutlich Heinrich Deichsel. Deichsel war einer der herausragendsten und gefragtesten Pforzheimer Architekten Anfang des 20. Jahrhunderts.
Er hat in Pforzheim zahlreiche markante Bauwerke entworfen, die das Stadtbild prägen u.a.
die Villa Bek in der Schwarzwaldstraße, die Villa „Rodi“ in der Friedenstraße, das ehemalige
Café Schwarzwaldhaus und den vom Verschönerungsverein 1904 gestifteten Hachelturm.
Die Villen der Siedlung Künstlerkolonie wurden im sogenannten Landhausstil mit Schindel-
verkleidungen und Sprossenfenstern errichtet. Die Schindelfassaden hatten bei allen
Häusern einen unterschiedlichen farbigen Anstrich.

Alle fünf Häuser hatten für die damalige Zeit eine sehr komfortable, aber auch praktische
und moderne Ausstattung mit Bädern und Warmwasserheizung. Die Häuser besaßen einen Haushaltungskeller mit gestampftem Lehmboden, der eine Stufe niedriger lag als der restliche
Keller. Jedes der Gebäude hatte Sprossenfenster und innenliegende Doppelfenster, die
im Sommer ausgehängt werden konnten. Die einzelnen Grundstücke waren durch Gartentore
miteinander verbunden.

Haus Pfeiffer

Als erster bezog Peter Paul Pfeiffer an seinem Geburtstag dem 29. Juni 1909 sein Haus.
Es trägt den Namen „Landhaus Marianne“ in Erinnerung an seine erste Ehefrau.
Die freistehende Villa wurde über einem Kalksteinsockel als Fachwerkbau errichtet.
Das Fachwerk wurde mit Brettern versehen und mit Schindeln verkleidet.

Charakteristisch für den Landhausstil ist das Krüppelwalmdach. Die großzügige
Veranda und die überdachte Terrasse sind nach Süden auf den Garten ausgerichtet.
1934 wurde das Haus im Süden mit einem Risalit erweitert.
Der Architekt war Friedrich Karl Müller, der Sohn von Julius Müller-Salem.

Auf einem Aquarell des Pforzheimer Malers Oskar Elsässer ist die ursprüngliche Südseite
mit Dachgauben und Schleppdach zu sehen. Das Schleppdach mußte entfernt werden,
da es im Winter durch den liegengebliebenen Schnee zu Wasserflecken an der
Verandadecke kam.

Im Nord-Westen fügt sich das großflächig verglaste Atelier an. Bei diesem unter
Denkmalschutz stehenden Gebäude sind noch die ursprünglichen Sprossenfenster
erhalten. Ein Großteil der originalen Innenaustattung mit Wandbrunnen, Heizkörper-
verkleidungen, Einbauschränken und Möbeln existiert noch heute. Dominierend im
Innern ist der Werkstoff Holz: Holzböden, Balkendecken, Holztreppen.
Die Küche war blau gekachelt und die Möbel blau gestrichen, um die Fliegen fern zu halten.
An der tiefsten Stelle seines Gartens mußte Pfeiffer einen Löschwasserbrunnen errichten.

Haus Müller-Salem

Die Villa im Landhausstil von Julius Müller-Salem stand bei der Gründung der Siedlung am
östlichsten. Sein Sohn Lothar Müller erinnert sich, daß sein Vater „.. diesen Teil vor allem
wegen des alten Nußbaums ausgewählt (hat), der unterhalb des Hauses ganz dicht an der Grundstücksgrenze stand.“ 1962 mußte der Baum nach Sturmschäden gefällt werden.

Zwischen Müller-Salem und dem Architekten Heinrich Deichsel bestand ein freundschaftliches
Verhältnis. Das schindelverkleidete Wohnhaus mit Mansardwalmdach wurde über einem
Kalksteinsockel erbaut. An der Südseite des Hauses brachte Müller-Salem 1938 unter
Mithilfe seines ehemaligen Schülers Bernhard Buss ein Wandbild an, das heute nicht mehr
existiert. Dargestellt war eine blumenstreuende Figur, eine „Flora“.
Das ehemalige Atelier ist im Nord-Osten an das Wohnhaus angefügt. Nach dem Tod
Müller-Salems 1946 wurde das Atelier zur Wohnung umgebaut.
Das 5700 qm große Grundstück war nach den Vorstellungen des Künstlers gestaltet.
Sein Sohn schrieb über das Gelände: „Es gab keinen Zierrasen, wohl aber schöne Bauernwiesen,
die im Frühjahr in allen Farben blühten. Er führte nicht nur Pinsel und Zeichenstift sachgerecht,
sondern konnte auch mit Hacke, Spaten und Gartenschere, ja selbst mit der Sense bestens
umgehen.“

Haus Pfeil

Der Chemiker Dr. Karl Pfeil baute 1909 zunächst ein Sommerhaus, das 1911 zum
Einfamilienhaus erweitert wurde. Das Wohnhaus von Dr. Pfeil wurde ebenso wie die Häuser
von Pfeiffer und Müller-Salem als schindelverkleidete Villa mit Fachwerkelementen auf
einem Kalksteinsockel errichtet. Die Südseite ist weitgehend in Glas aufgelöst: Im Erdgeschoß
ein großer ovaler Fensterausschnitt und im Obergeschoß ein Fensterband mit Sprossenfenstern.

Häuser Kleemann und Bäuerle

Bei den Häusern Kleemann und Bäuerle wurde das Untergeschoß gemauert und verputzt und
die Obergeschosse verschindelt. Auch diese Gebäude erhielten ein Krüppelwalmdach.
Bei beiden Häusern war das Atelier im Haus integriert.
Die Fassade des Hauses Kleemann ist inzwischen verkleidet.
Beim Haus Bäuerle wurde nachträglich an der Nordseite ein Holzanbau angefügt, der
inzwischen abgerissen und durch einen massiven Bau ersetzt wurde. Die Fenster an der
Südseite wurden durch den Zweitbesitzer Suß, der das Gebäude nach dem Wegzug von
Emil Bäuerle erwarb, vergrößert.

Haus Aichele

Im Sommer 1931 zog Erwin Aichele mit seiner Familie in sein neuerbautes Haus mit
großem Garten. Das heute unter Denkmalschutz stehende Wohnhaus mit vorgelagerter
Südterrasse wurde mit modernen Baustoffen ausgeführt. Architekt war Arthur Schrade
aus Pforzheim.
In seinem Garten stand ein großes Tiergehege. Neben Hunden und Katzen hatte der
Künstler verschiedene Vögel, Iltise und mehrere Rehe. „Der Garten bot nicht nur
Vorteile für die Tiere, sondern auch für die Familie des Künstlers, der hier immer mehr
dazu angeregt wurde auch Blumen zu malen.“ schrieb der Sohn Reiner Aichele.
Das Aquarell entstand 1967 und zeigt das Haus und den Garten.

Das geräumige freistehende Atelierhaus entstand in Anlehnung an das Wohnhaus.
Im Erdgeschoß befanden sich Vogelvolieren und im 2. Stock das Atelier. Nach
dem Zweiten Weltkrieg erteilte Aichele seinen Schülern im täglichen Wechsel in
seinem Atelier Unterricht bis das Gebäude der Kunstgewerbeschule in der Holzgartenstraße
wieder in einigen Räumen notdürftig bezogen werden konnte. Anfang 1980 mußte das
Atelierhaus trotz Bemühungen des Kulturamtes der Stadt Pforzheim und des
Landesdenkmalamtes um den Erhalt einem Wohnhaus weichen.

Künstler

Zu den Dozenten und Künstlern, die nur Grundstücke auf der Hohen Steig besaßen,
die sie später verkauften, gehörten Carl Kabis, Paul F. Meyer und August Wehrle.

Paul F. Meyer wurde 1882 in der Schweiz geboren. Er studierte an der Kunstgewerbe-
schule in Karlsruhe und absolvierte 1904 die Prüfung als Zeichenlehrer. Von 1905 bis
zu seinem Ruhestand 1947 war er Lehrer für Zeichnen und Modellieren an der
Goldschmiedeschule in Pforzheim. Im Mittelpunkt seines malerischen Werks standen
Landschaften und Stadtansichten. Daneben schuf er Radierungen, Linol- und Holzschnitte.

Carl Kabis wurde 1885 in Karlsruhe geboren. Er studierte an der dortigen Kunstgewerbe-
schule und später an der Kunstakademie. 1906 legte er die Zeichenlehrerprüfung ab.
Im gleichen Jahr erhielt er an der Goldschmiedeschule Pforzheim eine Anstellung.
Kabis betätigte sich hauptsächlich als Graphiker.

Emil Bäuerle

Der Bildhauer Emil Bäuerle war einer der ersten Bewohner der Kolonie Hohe Steig.
Emil Bäuerle wurde 1881 in St. Georgen im Schwarzwald geboren. Er absolvierte
zunächst das Seminar in Karlsruhe. Von 1901 bis 1904 besuchte er die Kunst-
gewerbeschule in Karlsruhe und schloß sein Studium mit dem Zeichenlehrerexamen ab.
Seine erste Anstellung erhielt er als Hilfslehrer an der Kunstgewerbeschule in Pforzheim.
Diese Stelle wurde 1908 zum „etatmäßigen Hilfslehrer“ aufgewertet und 1912 in eine
Lehrerstelle umgewandelt. Eine langwierige Krankheit hinderte ihn, seinem Lehrauftrag
nachzukommen, so daß er 1920 vorzeitig pensioniert wurde .

Von Emil Bäuerle sind nur sehr wenige Werke bekannt. Die Figur des „Knienden Jünglings“
befindet sich heute südlich der Roßbrücke. Die Skulptur, um 1918 entstanden, war
ursprünglich Teil einer Brunnenanlage, die als Erinnerung an den Ersten Weltkrieg errichtet
wurde. Der „Jünglingsbrunnen“ stand damals vor der ehemaligen Schwarzwaldschule
Ecke Hohl-/Schwarzwaldstraße. Mit der Darstellung des idealisierten Jünglings als
sterbender Krieger gelang es dem Bildhauer die negativen Seiten des Krieges zu betonen
und sich von der Heroisierung des Krieges zu distanzieren. Die vereinfachte Behandlung
der Oberflächen und der Reduzierung der Formen zeigen den Einfluß des Jugendstils.

Nach seiner frühen Pensionierung 1920 verließ Emil Bäuerle Pforzheim. Das Grundstück
mit Wohnhaus und Atelier verkaufte er an den Schuhhändler Suß.

Georg Kleemann

Auch Georg Kleemann gehörte zu den ersten Siedlern der Künstlerkolonie.
Kleemann wurde 1863 in Oberwurmbach geboren. Er besuchte die Kunstgewerbeschule
in München. Anschließend machte er eine Lehre im Atelier Spieß, das sich auf Entwürfe
für Keramiken, Tapeten, Buchausstattungen und ähnliches spezialisiert hatte. Seit 1887 war
er Lehrer für Ornament- und Schmuckentwerfen an der Kunstgewerbeschule in Pforzheim,
an der er bis zu seiner Pensionierung 1928 unterrichtete.
1893 wurde Kleemann zum Professor ernannt.
1922/23 war er stellvertretender Direktor der Kunstgewerbeschule.

Kleemann gehörte zu den bedeutendsten und erfolgreichsten deutschen Entwerfern
von Jugendstilschmuck. Er arbeitete eng mit der Pforzheimer Schmuckindustrie
zusammen und lieferte zahlreiche Entwürfe für Firmen wie Theodor Fahrner, Zerrenner,
C.W. Müller, Lauer & Wiedmann, Victor Mayer, Rodi & Wienenberger, Otto Zahn.
Seine Arbeiten trugen mit zum internationalen Ansehen von Pforzheim während der
Epoche des Jugendstils bei.

Kleemann schuf hunderte von Entwürfen, die sehr aufsehenerregend waren. Bis 1902
entstanden Arbeiten aus fein geschwungenen und stilisierten Blütenmotiven von
unaufdringlicher Eleganz. Einen Schwerpunkt in seinem Werk bildeten symbolistische
Motive: Käfer, Falter und Schmetterlinge, die außerordentlich beliebt waren. Kleemann
zierte seine Kleinlebewesen mit Edelsteinen und Brillanten. Die Durchsichtigkeit der
Flügel wurde mit Fensteremail wiedergegeben. Die besondere Wirkung dieser Objekte
geht von den leuchtenden Farben aus, die das düstere Nacht-Motiv überstrahlen.
Viele seiner Arbeiten befinden sich heute im Schmuckmuseum in Pforzheim.

Parallel zu den symbolistischen Darstellungen entstanden Entwürfe im geometrischen Stil.
Kleemann gehört zu den frühesten Designern, die sich mit der Geometrisierung des
Ornaments auseinandersetzten. Er reduzierte die Formen auf die Grundelemente
Rechteck, Quadrat, Dreieck, Kreis, Oval.

Neben Schmuck entwarf Kleemann auch Silbergeräte wie Bilderrahmen,
Taschenbeschläge, Schirmgriffe, Taschenmesser und betätigte sich als Maler.
1932 starb Kleemann in Eutingen.

Julius Müller-Salem

Auch der Künstler Julius Müller-Salem war einer der Begründer der heutigen
Künstlerkolonie. Julius Müller-Salem wurde, worauf sein angenommener Doppelnamen
hinweist, 1865 in Salem am Bodensee geboren. Er studierte an der privaten Kunstschule
von Ludwig Schmid-Reutte in München. 1899 wurde er als Lehrer für Akt- und figürliches
Zeichnen an die Kunstgewerbeschule in Pforzheim berufen und 1906 zum Professor ernannt.
Er lehrte dort bis zu seinem Ruhestand im Jahre 1930. Wie aus Berichten hervorgeht, war
Müller-Salem ein strenger Lehrer und wurde von seinen Schülern „der finstere Julius“
genannt. Zu seinen Schülern gehörten u.a. Karl Abt, Bernhard Buss und Karl Stretz.
Müller-Salem starb 1946 in Eutingen.

Müller-Salem beschränkte sich nicht nur auf seine Lehrtätigkeit an der Kunstgewerbeschule.
Er war als Maler und Designer tätig. Im Zentrum seines malerischen Werks standen das
Porträt und die Landschaft. Vor allem mit seinen Kinderbildnissen fand er schon früh
Anerkennung. Dieses Kinderporträt stellt Marianne Pfeiffer, die Tochter seines Kollegen
und Nachbarn Peter Paul Pfeiffer, dar.

Daneben führte Müller-Salem zahlreiche öffentliche und private Aufträge aus, die vom
Jugendstil geprägt sind. Für das Rathaus in Pforzheim entwarf er für den Lichthof ein
Mosaik und für das Trauzimmer farbenprächtige Glasmalereien mit figürlichen
Darstellungen vor ornamentalem, phantasievollem Hintergrund.

Für das Foyer des 1911 eingeweihten Emma-Jaeger-Bades gestaltete der Künstler
ein Mosaik, das an die Fabrikantengattin Emma Jaeger erinnert. Musizierende und
Blumen windende Putten huldigen an einem Gesundbrunnen der edlen Stifterin.

Den Erker einer Villa in der Lameystraße schmückte Müller-Salem mit einem Sgraffito.

Müller-Salem lieferte auch Entwürfe für Grabmale. Er entwarf kunstvolle Grabkreuze
aus Metall. Einige Grabsteine auf dem Pforzheimer Hauptfriedhof werden seinem
Schaffen zugeschrieben. Auf dem ehemaligen Friedhof in Eutingen befindet sich ein
Mahnmal für die Gefallenen des Ersten Weltkriges nach seinen Entwürfen.

Auch Müller-Salem war wie viele Dozenten der Kunstgewerbeschule als Entwerfer für
die hiesige Schmuckindustrie tätig. Er arbeitete mit den Firmen Söllner, Lauer &
Wiedmann und seit 1901 mit Theodor Fahrner zusammen.

1901/02 entwarf er für Theodor Fahrner eine Gürtelschließe mit Schlangenkopf
und eiförmigem Türkis. Die Arbeit befindet sich heute im Pforzheimer Schmuckmuseum.
Eine ähnliche Arbeit von Müller-Salem wurde 1904 auf der Weltausstellung in
St. Louis präsentiert. Für seine Entwürfe wurde Müller-Salem auf dieser Ausstellung
mit einer Medaille ausgezeichnet.

Neben symbolistischen Motiven setzte sich der Künstler gleichzeitig mit geometrischen
Entwürfen auseinander.

Peter Paul Pfeiffer

Der Schmuckdesigner und Bildhauer Peter Paul Pfeiffer zog als erster in die Kolonie.
Peter Paul Pfeiffer wurde 1879 in Stockach geboren. Seine künstlerische Ausbildung
erhielt Pfeiffer in Karlsruhe, wo er Bildhauer lernte und Gasthörer an der Kunst-
gewerbeschule war. Daran schloß sich ein Studium in der Zeichenlehrerabteilung an
und eine zusätzliche Ausbildung im Schnitzerhandwerk im Schwarzwald.

1903 erhielt er eine Anstellung an der Goldschmiedeabteilung der Kunstgewerbeschule
in Pforzheim. 1905 wurde er Lehrer für Modellieren, Metalltreiben und Ziselieren an
der neu gegründeten Goldschmiedeschule.

Von 1924 war er Mitglied des Schulbeirats und seit 1934 hatte er den Posten
des stellvertretenden Direktors inne. 1945 wurde er mit der kommissarischen
Leitung der Goldschmiedeschule beauftragt und zwei Jahre später zum Oberstudienrat
und Direktor ernannt.

Nach Kriegsende richtete Pfeiffer ein Direktionszimmer in seinem Haus ein, da das
Pforzheimer Schulgebäude zerstört war. Pfeiffer organisierte zwei Schulräume in Niefern,
in denen er die Vollschüler unterrichten konnten. Später kam ein weiterer Schulraum
in Dillweißenstein hinzu.
Der Künstler starb 1957 in Eutingen.

Pfeiffer war vielseitig künstlerisch tätig. Für seine Arbeiten wurde er mehrfach
ausgezeichnet.
Pfeiffer arbeitete als Bildhauer, Designer und Ziseleur. Er schuf Schmuck,
Gürtelschließen, Reliefs, Plaketten, Büsten – hier ein Selbstbildnis des Künstlers -,
eine große Anzahl Porträtreliefs und Medaillen u.a. die Badische Heimat Denkmünze,
die Hans-Thoma-Medaille zu dessen 80. Geburtstag und die Jahrhundert Medaille
das Erzbistums Freiburg. Er entwarf im Auftrag des Badischen Staatsministerium zum
Geburtstag von Paul von Hindenburg eine Städteplakette.

Für das Grab seiner ersten Frau Marianne auf dem Pforzheimer Hauptfriedhof schuf
Pfeiffer eine Stele mit Bronzeplakette, die ein Porträt der Verstorbenen zeigt.

Der Künstler betätigte sich auch als Maler. Ab 1905 entstanden die ersten Aquarelle,
ab 1910/11 die ersten Ölgemälde. Während seiner Ferien unternahm er vielfach
kunstgeschichtliche Reisen auf denen zahlreiche Skizzen entstanden.

Erwin Aichele

Der bekannteste Bewohner der Hohen Steig war der Tiermaler Erwin Aichele,
der 1929/30 zur Kolonie stieß.
Aichele wurde 1887 in Höhefeld bei Wertheim in Baden geboren. Schon früh zeigte
sich sein intensives Interesse für die Tierwelt und ein auffallendes zeichnerisches Talent.
1904 begann er sein Studium an der Großherzoglich Badischen Akademie in Karlsruhe.
Danach studierte er bei dem bekannten Tiermaler Heinrich von Zügel in München.
Nach seiner Rückkehr nach Karlsruhe besuchte er die dortige Kunstgewerbeschule,
die er mit dem Zeichenlehrerexamen abschloß. 1913 kam er als Zeichenlehrer an die
Goldschmiedeschule nach Pforzheim, wo er bis 1940 unterrichtete. Er wechselte dann
an die hiesige Kunstgewerbeschule, an der er bis zu seiner Pensionierung 1951 blieb.
Daneben hatte er von 1933 bis 1944 einen Lehrauftrag für Tiermalerei an der Akademie
Karlsruhe inne, der mit der Ernennung zum Professor verbunden war.
Aichele starb 1974 in Eutingen.

Erwin Aichele zählt zu den bedeutendsten deutschen Tiermalern. Er liebte die
unverfälschte Natur. Tiere, Blumen, Landschaft waren für ihn Symbole des Lebendigen.
Seine frühen Werke kennzeichnet eine auf genauester Beobachtung basierende,
detailgenaue Darstellung. Er stellte die Tiere, vor allem Vögel, in ihrer natürlichen
Umgebung dar. Landschaft und Tier werden von ihm als Einheit aufgefaßt.
Erst in späteren Jahren löste sich der Hintergrund in diffusen Farbsphären auf und
der Künstler verzichtete auf die naturgetreue Abbildung. Er begann die Formen der
Natur zu stilisieren und gelangte zu einer linearen Gestaltung.
Neben den unzähligen Tierdarstellungen entstanden auch Landschaften und Blumengemälde.

Jugendstil – Reformbewegung

Die Gründungsmitglieder der sogenannten Künstlerkolonie 1908 /09 waren vom
Jugendstil beeinflußt. Jugendstil war eine international verbreitete Kunstströmung zwischen
1890/95 und 1914. Die deutsche Bezeichnung wurde auf die 1896 in München gegründete
Zeitschrift „Jugend“ zurückgeführt.

Der Jugendstil war eine Revolte gegen erstarrte Kunst- und Lebensformen der
Gründerzeit. Die Künstler des Jugendstils wollten nicht nur einen betont neuartigen Stil,
sie suchten vielmehr einen Neubeginn an den Quellen der Kunst, die sie in der Natur erkannten.
Jugendstil verkörperte ein neues, freies Lebensgefühl und eine Aufbruchstimmung.

Dem Ideal des Jugendstils vom Gesamtkunstwerk und der künstlerisch ästhetischen
Durchdringung des gesamten Lebensraums folgend, entwarfen einige der Eutinger Künstler
auch Schmuck, Möbel, Ofenverkleidungen, Silbergerät und Uhren. Sie gestalteten
Wandbilder, Glasfenster und Ex libris.

Es waren moderne Künstler, die sich 1909 in Eutingen niederließen. Was sie verband,
war der Wunsch nach Ruhe und Erholung in der Natur. Die Hohe Steig in Eutingen war
die Idylle, die die Akademiker suchten und in der unmittelbaren Umgebung von
Pforzheim fanden. Sie konnten dort günstigen Grund und Boden zur Errichtung ihrer
Bürgerhäuser erwerben. Die nachbarschaftliche Nähe mit gleichgesinnten Menschen
in Abgeschiedenheit und der ländliche Charakter des Dorfes bot ihnen die Möglichkeit
ihre Vorstellungen von Naturnähe und natürlicher Lebensart zu verwirklichen.
Täglich fuhren die Kolonisten mit der Eisenbahn nach Pforzheim an ihren Arbeitsplatz.

Lothar Müller führt an, daß „.. Müller-Salem den Freiraum schätzte, den ihm die
Hohe Steig bot. Er liebte weite Spaziergänge und unser Heim war dafür ein idealer
Ausgangspunkt.“ In seinen zahlreichen Landschaftsbildern hielt Müller-Salem die
Umgebung von Eutingen fest. Vor allem das Igelsbachtal war vor dem Bau der
Autobahn Karlsruhe – Stuttgart ein Motiv, das er immer wieder aufnahm.

Auch Erwin Aichele begab sich zum Malen immer wieder in die Umgebung „(ins)
nahegelegene Eichwäldchen, sowie auf (den) oft bestiegenen steinigen Enzbuckel
mit seinen Wetterföhren hoch über dem weiträumigen Enztal“, wie Reiner Aichele berichtete.
Der große Garten bot Aichel zudem die Möglichkeit zahlreiche Tiere zu halten.

Die Eutinger Künstlerkolonie ist keine klassische Künstlerkolonie im kunsthistorischen Sinn.
Die ersten Anwohner der Hohen Steig waren nicht nur Künstler. Dr. Pfeil war Chemiker
und 1912 kamen ein Landwirt und ein Studienrat hinzu. Ein wesentliches Kriterium der
deutschen Künstlerkolonien war die Dauer ihres Bestehens. Die Zusammenschlüsse an
einem Ort hielten meist nur wenige Jahre. In dieser Zeit herrschte ein lebhafter geistiger
und künstlerischer Austausch der Künstler untereinander.
Die Eutinger Künstler dagegen lebten alle – außer Bäuerle – bis zu ihrem Tode in der
Kolonie. Eine gegenseitige künstlerische Anregung oder Beeinflußung gab es nicht.
Die im Volksmund gebräuchliche Bezeichnung Künstlerkolonie wurde der Siedlung erst
1953 zuerkannt, als Wertschätzung und Würdigung der Künstler.

Die Eutinger Kolonisten waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts dem Jugendstil
verhaftet. Im Siedlungsgedanken „Hohe Steig“ finden sich Ansätze und Impulse des
Jugendstils und den Reformbewegungen der Zeit. In lebensreformerischen Kreisen
bedeutete die Natur das Reine, Unverfälschte, Ursprüngliche und Gesunde. Die Natur
bildete eine Gegenwelt zur Industrialisierung der Städte. Ihre Sehnsucht galt der frischen
reinen Luft, dem Sonnenlicht und der Natürlichkeit. Als Leitbegriffe dienten diese den
Anhängern der Ernährungs-, Erziehungs-, Hygiene-, Kleidungs- und Wohnreform
sowie den verschiedenen Vertretern des Symbolismus, Expressionismus, Jugendstils
und Werkbundes.

Diese Ideen griff auch die Gartenstadtbewegung auf. 1902 wurde die erste Gartenstadt-
gesellschaft in Deutschland gegründet. Die lebensreformerische Fluchtbewegung vor
Stadt und Industrie sah in der Gartenstadt die Möglichkeit ihre Vorstellungen von
Naturnähe und natürlicher Lebensart zu verwirklichen. So schrieb der 1. Vorsitzende
der Deutschen Gartenstadt-Gesellschaft 1902: „(Der) Mensch (bedarf) der dauernden
Berührung mit dem Mutterboden, mit der Natur, eines Lebens in reiner Luft und hellem
Licht, wenn er nicht verkümmern und hinsiechen soll.“ Der zu jedem Haus gehörende
Garten sollte einer gesundenen und abwechslungsreichen Ernährung dienen.

Der Zusammenschluß der Akademiker auf der Hohen Steig ist als eine Ansiedlung
von Gleichgesinnten im Grünen zu sehen. Es war die Suche nach einem möglichst
engen Kontakt zur Natur, die die ersten Bewohner zusammenführte. Gleichzeitig hatte
man eine kurze Wegstrecke mit der Eisenbahn nach Pforzheim und konnte auf die
Infrastruktur des Dorfes zurückgreifen.

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