Tod,
Bestattung
und
Totengedenken

Vortrag
Wolfgang Schumacher,

anlässlich der Matinee zur Stadtgeschichte am 20.11.2005

Meine Damen und Herren,

es ist Sonntagmorgen. Der 10 jährige Michael will mit seinem Freund Dieter den Opa besuchen.
Der Opa wohnt nur wenige Schritte vom elterlichen Bauernhof entfernt allein in einem kleinen Austragshäuschen, wie man im Allgäu sagt.
Aus einiger Entfernung sehen die Buben den Opa auf einer Bank vor seinem Häuschen sitzen. Er ruht dort gerne aus, hat er doch von dort einen geradezu einmaligen Blick über den Hauptkamm der Allgäuer Alpen. Wie sie näher kornmen, rührt sich der Opa nicht. „Der schnauft nemme,“ sagt der Freund.
Und so ist es. Der Opa ist tot.
Sanft wie ein Uhrenliebhaber hat der Tod das Lebenspendel angehalten.

Wir wollen dieses „Bild“ des sanften Todes mit auf unsere „Reise“ nehmen, zu der ich Sie einladen möchte. Das „Bild“ soll uns Maßstab sein für einen gewaltfreien natürlichen Tod, welcher die WÜRDE des Menschen wahrt.
Durch unsere „Reise“ gelangen wir – so hoffe ich – zu jener Perspektive, welche uns die WÜRDE des Menschen eindeutig vor Augen stellt. Für jede weite Reise benötigt man ein Fortbewegungsmittel. Das unsere ist ein ganz besonderes, denn wir müssen es uns selbst bauen mit Hilfe unserer Phantasie. Es ist wie aus Glas, d. h. es schützt und erlaubt uns die Sicht nach allen Seiten. Beschleunigt wird es mit Hilfe unserer Gedanken. Der Antrieb durch Raketen wäre viel zu langsam, denn mit 300 000 km/sec. kommen wir im Universum nicht sehr weit.

Ach ja, unser erstes Reiseziel ist nicht weniger als das Universum.
Was suchen wir dort?
Wir suchen Leben wie dieses, auf unserer Erde. Wir starten und halten in 900 km Höhe oder sollte man besser sagen Entfernung kurz an. Der Blick zurück zeigt uns jenen kugelförmigen Körper, wie wir ihn von den Satellitenfotos kennen. Wir bewegen uns jetzt auf einer spiralförmigen Bahn um die Erde, die sich immer mehr ins Universum erweitert. Unsere Bahn könnte man mit einem ungeheuren Schneckengehäuse vergleichen. Wir beachten nicht die gewaltigen Sonnen. Uns interessieren nicht die alles verschlingenden „Schwarzen Löcher“ oder die Neutronensterne mit ihrer nur mathematisch fassbaren ungeheuren Gravitationsenergie. So weit unsere Gedanken schweifen, wir finden im ganzen Universum keinen Planeten, der unserer Erde gleicht. Sie ist einzig.

So kehren wir wieder zu unserer Erde zurück. Wieder verharren wir in 900 km Entfernung. Jetzt nehmen wir ein geradezu phantastisches Sehvermögen an. Es vereinigt in sich die Fähigkeiten bzw. die Leistung einer Satellitenkamara, mit einem Weitwinkel, welches die ganze Erde abbildet. Über diese ganze Fläche sind wir so scharfsichtig wie ein Elektronenmikroskop.
Was sehen wir?
Leben!
Leben, das in den Pflanzen strömt und als Same schläft. Und wir erblicken das Leben, welches in unzähligen Organismen pulst. Verwundert fragen wir uns, wie kann erklärt werden, dass im ganzen Universum es nur einen Planeten gibt, auf dem Leben existiert?
Die Antwort erscheint verblüffend einfach:
Nur auf der Erde gibt es Wasser. Nur hier auf der Erde steht Wasser in dem schmalen Temperaturbereich zwischen Null und ca. 125 Grad zur Verfügung. Doch das Wasser allein ist es nicht. Die Forschung der letzten 100 Jahre lehrt uns, dass wir gut daran tun, die Erde, unseren Planenten, als ein Kunstwerk zu betrachten. Seit Kepler wissen wir, dass unser Planet eine Ellipsenbahn um die Sonne beschreibt.
Der flüssige, geradezu ausgewogene Eisenkern sorgt für eine erträgliche Gravitation. Der Gesteinsmantel um die Erde trennt das rotflüssige Eisen von der Luft und belässt so den unverzichtbaren Sauerstoffanteil.
Um die Erde schützen Ozonschicht, das Magnetfeld usw. das Leben vor dem Strahlenbeschuss aus dem Weltall. Die Luftschicht selbst schützt wie ein Panzer vor den meisten Einschlägen. Der Mond bremst die Rotationsgeschwindigkeit der Erde auf 24 Stunden. Ohne Mond dauerte ein Erdentag nur 10 Stunden.
lch möchte es mit diesen Andeutungen bewenden lassen.
Für eine genauere Darstellung des Wunderwerks Erde bedürfte es nach dem Stand der heutigen Wissenschaft einer ganzen Bibliothek.

Wenden wir uns den Lebewesen zu.
Ungeheuer rätselhaft ist dabei die Entwicklung jener Lebewesen, die sich als einzige im Verlauf von mehreren tausend Jahren weiter entwickeln konnten? entwickelt wurden? entwickeln durften? und die als Menschen diesen Planeten in einzigartiger Weise bevölkern.
Der Körperbau streckte sich und erlaubte den aufrechten Gang. Die Körpergröße wuchs von 1,40 m auf die heutigen Längenmaße. Die Körperbehaarung schwindet.
Außerordentlich bemerkenswert ist die Entwicklung, genauer gesagt die Umformung des Schädels.
Und dann ein weiteres Rätsel:
Dieses Lebewesen fängt an Werkzeuge zu fertigen.
Wir wissen um die Faustkeile.
Doch im Cannstatter Travertin wurde ein Holzspeer konserviert, der auf ca. 200.000 Jahre datiert wird.
Es macht keinen Sinn, die vielen Erfindungen aufzureihen. Sie kennen viele aus dem Schulunterricht oder Besichtigungen.
lch erinnere an die Exkursion nach Steinheim an der Murr.
Ein außerordentlicher Entwicklungsschritt bedeutete die Zähmung des Feuers.
Das Feuer schreckt alle anderen Lebewesen, vertreibt oder tötet sie.
Nur der Mensch überwand die Angst, die Scheu. In der griechischen Mythologie ist es Prometheus, der den Göttern das göttliche Feuer für seine Geschöpfe, die Menschen, raubt.
Nur mit Hilfe des Feuers gelang der Zugriff zu den Metallen. Ohne Metalle keine Technik. Ohne Feuer keine Keramik, kein Glas. Ohne Feuer kein Brot und kein Braten. Der Mensch zähmte seinen Hunger und wurde so zum Viehzüchter und Bauern.

lch möchte an dieser Stelle einen Einschnitt machen.
In den letzten 150 Jahren, beginnend mit Charles Darwin, ist es Mode geworden, den Menschen in die Nähe des Tieres zu rücken. Bei Darwin ist der Mensch lediglich das Resultat eines spezifischen Evolutionsprozesses. – In der modernen Genforschung sind es nur wenige Gene, die den Menschen etwa vom Schimpansen trennen bzw. unterscheiden.
Doch diese Betrachtungsweise gibt keine Antwort auf die uralte Frage, „was ist der Mensch?“
Indem Goethe formulierte, „die Natur lässt sich des Schleiers nicht berauben, und was sie deinem Geist nicht offenbart, zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben“, lehnte er den mechanistischen Forschungsansatz ab.
Kurz gesagt, nur dem menschlichen GEIST erschließt sich die Antwort auf die Kernfrage.
Goethes Einsicht lautet, „die Art wie Geist und Materie verbunden sind, ist ein großes Rätsel.
Und doch ist das der Mensch.“

Was vermögen wir zu erkennen?
Der Mensch denkt. Er besitzt Sprache (viele hundert gibt es in den vielen Völkern und Stämmen).
Der Mensch erfindet.
Was vermögen seine Hände, jene unglaublich vielseitigen „Werkzeuge“? Arbeit, bildende Kunst, Musik, Zärtlichkeit.

lch darf es lhnen überlassen, diese Aufzählung weiterzudenken.
Mit Hilfe seines Geistes gelang es dem Menschen in jene Bereiche des Universums vorzudringen, die dem menschlichen Auge entzogen sind.

Ein Teilbereich ist die Mathematik. Jeder echte Mathematiker ist stolz darauf, eine Wissenschaft zu pflegen, die er als ewig betrachtet.
Bei dem Worte „ewig“ sind wir an einen der rätselhaftesten Begriffe gestoßen, den der Mensch – und nur der Mensch – denkt.
Nur der Mensch erlebt Zeit. Mal ist es die tägliche Wiederkehr der Sonne, mal ist es der Jahreskreislauf mit den eingefügten Jahreszeiten. Und dann die vielen Zeiteinheiten, die wir uns schaffen, oder denen wir unterworfen werden.

Und so begegnet der Mensch – und nur er – dem Ende der Zeit – dem Tode.

lch muss ihnen gestehen, dass ich nicht annähernd geahnt habe, wie viele Gedankengänge, Gedankenverbindungen, Gedankenlinien sich in dem Wort, dem Begriff „TOD“ kreuzen.

Meine Ausführungen können daher nicht umfassend sein.
lch will anregen zum eigenen nachdenken, weiterdenken, eigener Meinungsbildung und vielleicht zum eigenen handeln.
Das ist die Chance dieses Vortrags.
Eine überraschende Entdeckung ist die Tatsache, dass der Tod den Menschen fasziniert, fesselt und andererseits zutiefst erschreckt und erschüttert. Wann sich ein Kind des Todes bewusst wird und wie tief, hängt von biographischen Umständen ab und jenem Ort auf dieser Erde, an welchem man das Licht der Welt erblickt hat.
Mit 6 Jahren sah ich zum ersten Mal das Antlitz eines Toten im Leichenraum eines Krankenhauses. Die anderen Toten rollten im offenen Leichenwagen, von schwarz gezäumten Rappen gezogen, an meiner Wohnung vorbei.
Was begreift ein Kind im Vorschulalter, wenn der Papa ihm sagen muss „die Mama kommt nicht mehr“.
Zu der Einzigartigkeit des Menschen gehört die fatale Tatsache, dass kein Lebewesen auf dieser Erde auf so unterschiedliche Weise zu Tode kommen kann. Die Todesursachen zeichnen ein sehr großes Spektrum.
Sollen sich unser aller Gedanken nicht in zielloser Ferne verlieren, erscheint mir eine gegliederte Betrachtung angemessen.
In einem Bilde dargestellt unternehmen wir jetzt wieder eine Reise gleichsam in einem virtuellen Omnibus.
Als Lenker fahre ich zu den Gesichtspunkten, und Sie können zwischen meinen Bildern wählen und denen Ihrer persönlichen Erinnerung.

Fangen wir an, über Todesursachen nachzudenken, sehen wir uns gleichsam vor ein riesiges Trümmerfeld gestellt. Schauen wir genauer hin, lassen sich 2 Arten unterscheiden.
Wir erkennen einmal den naturbedingten Tod und andererseits den unnatürlichen Tod, genauer gesagt, den Tod durch Menschen verursacht.

Zu den natürlichen Todesursachen zählt die Altersschwäche – wie bei unserem Eingangsbild.
Dazu treten Organversagen von Herz, Nieren, Leber usw.
Eine Sonderform ist die Gewebeentartung durch Krebs.
Die Natur bedroht das Menschenleben auch durch Bakterien, die Typhus, Malaria, Cholera, Tetanus und die Pest auslösen.
Hinzu treten die Viren-Erkrankungen.
Eine weitere weltliche Bedrohung stellen die Gifte in Pilzen, Beeren und Pflanzensäften dar.
Die Giftschlangen, den Rotfeuerfisch und die Vogelspinne wollen wir nicht vergessen und all jene Tiere, die uns physisch überlegen sind, wenn sie uns angreifen. Sei es eine Kuh oder ein Kampfhund.
Eine weitere naturbedingte Todesursache ist der Tod durch den Mangel an Nahrung oder Wasser. Wir sollten aber zwischen dem kurzfristigen Ausfall der Nahrungszufuhr und der lang anhaltenden Verminderung der Ernährung unterscheiden. Letztere führt nicht sofort zum Tode, sondern schwächt den menschlichen Organismus, sodass z.B. relativ harmlose Infektionen tödlich wirken.
Innerhalb der naturbedingten Erkrankungen wissen wir von solchen, die mal qualvoll, mal schmerzhaft oder beides sind. Der gepeinigte Mensch begrüßt dann den Tod als Erlösung von seinem Leiden.

Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das unseren ganzen Planeten zu besiedeln vermochte.
Die Eskimos wohnen im Eis. Andere behaupten sich in Oasen inmitten von Wüsten.
Wieder andere ernähren sich an den Meeresküsten. In den Anden, den Alpen und dem Himalaya haben Menschen ihre Siedlungen so weit als irgend möglich in die Höhe getrieben.

Das Anpassungsvermögen des Menschen zieht aber auch seine bedrohliche Kehrseite auf sich und bewirkt den gewaltsamen Tod durch die Kräfte der Natur.
Als die wohl älteste Katastrophe kann die Sintflut gelten. Mehrere völlig unabhängige Kulturen berichten in ihren Überlieferungen von einem derartigen Ereignis. Moderne Rechenmodelle lassen die Folgen des Einschlags eines Meteoriten in den Pazifik oder den Atlantik vorausberechnen.
Seit ca. 30 Jahren registriert die “Münchner Rückversicherung“ all die Katastrophen, die das Wasser, Schnee, Bergrutsche, Blitzschläge, Brände, Tornados, Hurrikane, Erdbeben verursachen.

Das Erdbeben von Lissabon am 1.11.1755 kostete 30.000 Menschen das Leben. Es beschäftigte noch Goethe und Johann Peter Hebel.
Die Explosion des Tambora – er bewegte dabei rd. 180 Kubikkilometer Material – führte hier in Europa
zu Hungersnöten, weil die Asche des rd. 15 000 km entfernten Vulkans die Sonne verfinsterte und zu Missernten führte.
Die Erinnerung daran ist nicht müßig, denn sie macht die Folgen eines Atomkriegswinters vorstellbar.

Jenseits dieser Bedrohung durch die Natur erleidet der Mensch möglicherweise einen selbstverschuldeten, gewaltsamen Tod. Das Wort „selbstverschuldet“ bedarf aber der Differenzierung. Im Beruf des Bergmanns, des Seefahrers, des Bauarbeiters, des Holzfällers ist ein tödliches Berufsrisiko enthalten.
Jeder Verkehrsteilnehmer kann durch eigene oder fremde Schuld tödlich verletzt werden.

Angesichts dieser vielen Risiken schiene es logisch, ja geradezu vernünftig, solche Risiken zu vermeiden, ja zu fliehen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Es mag Sie, meine Zuhörerinnen und Zuhörer schockieren, wenn ich die Behauptung wage: Der Mensch ist das einzige Wesen, das mit dem Tode „spielt“.
Der Mensch lässt sich vom Tode faszinieren d.h. er geht auf den Tod zu, er geht neben ihm her und weicht wieder zurück.
Selbstverständlich muss ich meine These belegen.

Die wohl ältesten Fresken Europas finden sich im Palast von Knossos auf Kreta. Er wurde vor ca. 4000 Jahren geschaffen. Eines dieser Fresken zeigt Jünglinge beim Sprung über Stiere.
War das nur ein sportlicher Wettbewerb? Ein misslungener Sprung hatte den sicheren Tod zur Folge. Einen Rest dieses Risikospiels lässt sich noch heute – 4000 Jahre später – in Spanien beobachten, wenn Stiere durch die Straßen getrieben werden, und junge Männer vor ihnen her rennen, oder beim Stierkampf. Bis heute ist der Stier Todesgefahr und unverzichtbare Quelle der Fruchtbarkeit durch seine Zeugungskraft. Ein Mann kann ein Pferd bändigen, einen Stier nicht. Nie gab es im Zirkus eine Stiernummer. Stierkämpfe mögen den meisten Mitteleuropäern als primitiv erscheinen, aber geht es beim Bergsteigen, Klettern wirklich nur um eine sportliche d.h. körperliche Höchstleistung? – Wäre das der Fall, so könnten Mann wie Frau ihre körperliche Langzeitleistung gefahrlos durch einen Marathonlauf oder beim Iron man Wettbewerb beweisen. Aber bei der freiwilligen, sportlichen Bewegung im Hochgebirge ist der Tod ein ständiger Begleiter. An der Route zum Mount Everest passieren die Optimisten die unbestatteten Leichen der Gescheiterten.

Die Faszination des Todes beschränkt sich aber nicht nur auf die Akteure, sie erfasst auch die Zuschauer. Solche, so scheint es, formieren sich erst in Hochkulturen. Es sind jene Bevölkerungsschichten, die vom harten und zeitraubenden Broterwerb durch körperliche Arbeit weitgehend befreit sind.

Wer war Zuschauer bei den Olympischen Spielen der Antike? – Dabei gab es auch Tote.
Wer besetzte die 60.000 Plätze im Cirkus Maximus in Rom? Der römische Staatsmann Seneca möchte sich bei Vorführungen erheitern. Was er zu sehen bekommt ist Mord, wie er schreibt. Das Colloseum, ein weiterer Unterhaltungsbetrieb mit tödlichem Unterhaltungsprogramm ist rund 400 Jahre in Betrieb.
In reichlich abgemilderter Form erleben wir noch heute die Raubtierdressur. Was fasziniert uns an der Arbeit des Dompteurs? Auch die Ritterturniere des Mittelalters konnten tödlich enden.
Und heute starren wir gebannt auf jene Fahrer, die in der „Formel 1″ „am Limit“ fahren. Die Geschichte des Automobilsports kennt viele tödlich verunglückte Rennfahrer. Und von den großen Rennfahrern gab es keinen einzigen, der nicht bei einem schweren Unfall knapp am Tod vorbeischrammte.

Die Bibel erzählt in den Bildern vom Anfang des Menschengeschlechts sehr früh vom Tod durch fremde Hand. Kein Tier mordet. Nur beim Mensch tut sich der finsterste aller Wesensabgründe auf. In allen Kulturvölkern wird Mord verurteilt. Er darf nicht geduldet werden, weil sonst die Gemeinschaft gesprengt wird. Die moderne Rechtsprechung unterscheidet zwischen Mord und Totschlag, zu welchem es etwa bei Notwehr kommen kann.
Denkt man über das Thema „Mord“ tiefer nach, so fällt auf dass die negative Bewertung ins Wanken gerät, sobald die abstrakt Ebene verlassen wird. Es zeigt sich, dass die moralische Beurteilung der Tat vom moralischen Habitus des Ermordeten abhängt.
Bereits im 5. Jahrhundert v. Chr. wurde in der damaligen Demokratie Tyrannenmord verherrlicht. Im
20. Jahrhundert übten die Tyrannen Stalin, Hitler und Mao tse tung ihe Schreckensherrschaft aus, die Millionen Menschen das Leben kostete. Mao soll Stalin und Hitler übertroffen haben, weil auf seinem Schuldkonto 60 – 70 Millionen Tote stehen. Viele von lhnen werden sich erinnern, wie lange es dauerte, bis der 20. Juli 1944 seine gebührende Anerkennung fand. Der erste Attentäter von 1938, Georg Elser,
ein klarsichtiger Mann, ist kaum bekannt. In seinem Geburtsort sind nicht alle stolz auf ihn.

Es kann nachdenklich stimmen, dass solche monströsen Verbrecher wie Stalin, Hitler und Mao wie unter einem schicksalhaften Schutz zu stehen scheinen, der den Gedanken an Tyrannenmord gar nicht aufkommen oder die Versuche misslingen lässt. Erfolg hätte nur jener gehabt, der sein Leben für andere gegeben hätte.

Bei meinem Gang durch die Geschichte sind mir im Laufe der Jahre Namen aufgefallen, die in der Zeit ihres Wirkens alle dasselbe Ziel verfolgten und alle dasselbe Schicksal erlitten.
lch nenne König Heinrich IV. von Frankreich, Abraham Lincoln, den österreichischen Thronfolger Franz Ferdinand, den französischen Sozialisten Jean Jaures, Mathias Erzberger, Walter Rathenau, Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Anwar el Sadat, Iszak Rabin und Pere Roger Schütz.
Sie betätigten sich als Männer des Ausgleichs, des Friedens. Sie wurden alle deswegen ermordet. Es ist ein eigenartiges Phänomen, dass der echte Wille zum Frieden, die böseste Aggression auf sich zieht.
Die Folgen kennen Sie.

In ganz engem Zusammenhang mit Mord, steht der gewaltsame Tod durch Hinrichtung. Dabei wird nach einem Verfahren durch einen oder mehrere Richter das Todesurteil gesprochen. Ein Henker vollzieht die Hinrichtung u. U. mit Gehilfen, den Henkersknechten. Das Justizverfahren, welches mit dem Todesurteil endete, wurde in der Geschichte unzählige Male missbraucht ganz abgesehen vom Irrtum – sodass nach 1945 eine stetig wachsende Anzahl von Staaten die Todesstrafe abschaffte.
Nie in der deutschen Geschichte wurden von einem Regime so viele Menschen „im Namen des Deutschen Volkes“ hingerichtet wie unter den Nazis. Die Zahl schätzt man auf 50.000.

Zu den Hinrichtungsarten, bei denen die Gemeinschaft einbezogen aber auch entfesselt wird, ist der Tod durch Steinigung.
Unzählige Menschen haben den Tod im Kampf erlitten. Darüber zu reden ist in unserer Zeit sehr schwer geworden. Einerseits war das Bild des Kämpfers auf Leben und Tod als Angreifer wie als Verteidiger über Jahrtausende in allen Kulturen positiv besetzt. Das galt für den Zweikampf, eines Einzelnen gegen eine Gruppe und Gruppenkämpfe, die sich bis zu Völkerkriegen steigerten.
Andererseits ist unsere Erinnerung vor allem in Deutschland und Europa durch zwei furchtbare Weltkriege geprägt. Als politisch mündige und geschichtsbewusste Bürger fragen wir nach den Motiven der Kriegsführenden.

Es ist unvermeidlich, dass wir mit dieser Art der Betrachtung rückwärts durch die Geschichte reisen.

Die Erkenntnis ist ernüchternd: Raub war das häufigste Motiv der Angreifer, so prächtig sie auch gekleidet sein mochten und so hoch ihr gesellschaftlicher Rang auch war.
Es ist mehr als ambivalent, wenn über Jahrhunderte hinweg Christen sich in einer Kirche bestatten lassen, und der Sarkophag bzw. die Grabplatte sie in voller Kriegsrüstung zeigt.
Muss ich mir einen Mangel historischen Bewusstseins unterstellen lassen? – Der Zeitgenosse Reuchlins, Erasmus von Rotterdam, ein scharfsichtiger und unabhängiger Beobachter verurteilte von hoher Warte, die ganz Europa überblickte, den Krieg. 150 Jahre später tat es ihm Christoph von Grimmelshausen gleich. Er hatte den 30 jahrigen Krieg, die grösste Katastrophe der deutschen Geschichte überstanden und wusste daher, dass der Krieg sich nicht nur auf die Kämpfenden beschränkte.
Im Krieg sind alle Gesetze aufgehoben, und es wird daher bedenkenlos gemordet. Wir wollen uns eine Aufzählung der Kriege vor allem des 20. Jahrhunderts ersparen, ohne zu verdrängen. Eine Erfahrung neuerer Art wollen wir nicht verschweigen. Die Überlebenden, Opfer wie die Täter, werden für den Rest ihrer Tage durch Alpträume und Gewissensbisse gepeinigt. Nach dem Falklandkrieg begingen mehr SoIdaten Selbstmord als während der Kämpfe ums Leben gekommen waren.

12000 Selbstmorde oder Selbsttötungen, wie man besser sagen sollte, werden z. Zt. jedes Jahr in Deutschland gezählt. Diese Zahl löst im Gegensatz zu den Verkehrstoten oder den Toten durch Rauschgift oder Aids kaum gesellschaftliche Diskussionen aus. Irgendwie scheint die Gesellschaft hilflos, und nur die nächste Umgebung hätte Warnzeichen erkennen können, sagt man.
lch habe 6 Menschen gekannt, die sich das Leben nahmen.
Der verstorbene Wiener Sozialforscher Erwin Ringel meinte bei seinen Forschungen erkannt zu haben, dass alle erforschten Personen eine unglückliche Kindheit durchlebt hatten. Ein Tatmuster, das sich seit 20 Jahren zahlenmäßig auf konstanter Höhe hält, ist der Mord mit anschließendem Selbstmord.

Am 28. Februar titelte die „Bild“ -Zeitung, ich zitiere: Tödliche Scheidung, 9200 Morde und Selbstmorde.
Unglaublich.
In Deutschland gibt es jedes Jahr mehr Scheidungsopfer als Verkehrstote… Das ermittelte der Bonner Ministerialrat, Dr. Erich Hienstorfer (51), ehemaliger Staatsanwalt und Scheidungsrichter.
1987 starben 11 599 Menschen durch Selbstmord.
Nach meinen Untersuchungen war das Motiv in 80% aller Falle eine bevorstehende Scheidung.
Zum Vergleich: 1987 gab es 7876 Verkehrstote.

Ex Scheidungsrichter Dr. Erich Hienstorfer fügt hinzu: „Auch das Scheidungsgesetz ist schuld. Es belohnt die Faulen und bestraft die Fleißigen. Der Ehepartner, der ein Leben lang gearbeitet hat, steht nach der Scheidung häufig vor dem Nichts. So kommt es zu Kurzschlusshandlungen, im schlimmsten Fall zu Selbstmord“

Ein anderer Experte: „Ganz schlimm ist der Kampf ums Kind. Ein Elternteil wird quasi entmündigt.
Zu 85% sind es die Väter. Viele von ihnen sind nicht in der Lage, den Verlust ihres Kindes zu verkraften. Sie drehen durch.

Den Gesetzgeber lassen diese Dramen, die sich Tag für Tag und Jahr für Jahr ereignen, kalt. Die Richterinnen und Richter in Deutschland urteilen weiterhin anti – patriarchalisch.
Aber das Risiko hat sich herumgesprochen. Die risikoreiche Ehe ist zum Auslaufmodell geworden, und wenn überhaupt, bastelt man sich individuelle Beziehungskisten. Der Fortpflanzungstrieb ist der stärkste, dem alle Tiere auf unserem Planeten unterworfen sind. Er will die jeweilige Art erhalten. – Nur dem Menschen ist es möglich, sich diesem Trieb zu entziehen. Das reicht von der schlichten Askese bis hin zu den unterschiedlichsten Formen der Ersatzbefriedigung. Die Prostitution ist uralt.
Völlig neu ist die gewaltige Aufblähung der Pornographie mittels des Internets.
Darüber gerät in Vergessenheit, dass es zu der höchsten Auszeichnung des Menschen zählt, seine Nachkommen zu wünschen, zu wollen und zu lieben. Wenn es gut geht ein Leben lang.
Fest steht. Der Mensch ist nicht nur ein zoon politikon, wie schon Platon erkannte, der Mensch ist ein Generationenwesen. Wo kein neues Leben entsteht, breitet sich der Tod aus wie eine Wüste oder Eis.
Das Eis der Einsamkeit.

BESTATTUNG

Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sich bewusst ist, dass ihm der Tod bestimmt ist. Deshalb kann er die Form, den Ritus, den Handlungsablauf und den Ort seiner Bestattung festlegen. Wir wollen im Folgenden unter Bestattung alter Handlungen am Toten und um den Toten verstehen vom Moment des Verscheidens bis zur Stätte, dem Ort des Verbleibens des Leichnams oder seiner Überreste. Doch gleich zu Beginn muss ich eine, nicht die letzte, Einschränkung vornehmen.

Schon die Todesart legt die „Bestattung“ fest. Der Tod auf See im Sturm oder an Klippen oder bei einem Seegefecht bedeutet „Bestattung“ ohne jeden Ritus.
Grundsätzlich wehrt sich der Mensch, als Aas zu enden, zum Fraß für Hunde, Aasvögel oder Larven.

Die Archäologen datieren die ältesten Gräber auf 40.000 Jahre. Blütenpollen fand man darin. In der Ilias demütigt sich König Priamos, um den Leichnam seines Sohnes Hektor dem Sieger Ajax abzubitten. Der kaiserliche Oberst Kaspar Schoch lässt im 30 jährigen Krieg im Troß seinen Sarg mitführen.
1610 als Kind leibeigener Klosterleute des Klosters lsny geboren ist er ein Kind des Krieges. Er schaffte es, vom Hundebuben zum Obristen aufzusteigen. Der mitgeführte Sarg kann als Zeichen der Todeserwartung wie Todesverachtung als auch um Sorge für den eigenen Leichnam gedeutet werden.

2004 erinnert sich ein ehemaliger deutscher Soldat, dass es 1944 während der Landung der Alliierten in der Normandie zu seinen größten Sorgen zählte, während des Vorrockens dieser Truppen unbeerdigt liegen zu bleiben. Um eben diese Zeit also 2004, findet ein französischer Bauer unter dichtem Gesträuch die Überreste eines deutschen Soldaten, der sich dorthin verkrochen hatte. Anhand der Erkennungsmarke konnte er identifiziert und seine Witwe nach 60 Jahren benachrichtigt werden.

Der Tod im Krieg d.h. in Folge von Kriegshandlungen verhindert in der Regel eine würdige Bestattung. Das gilt sowohl für die uniformierten Kampfbeteiligten wie für die Zivilisten.
Wie viele Pforzheimer sind als Staub in den Schuttmassen des Wallbergs am Stadtrand begraben?

Will man dem Wesen der Bestattung näher kommen und es ergründen, so ist es unvermeidlich, von jener Grundstruktur auszugehen, die sich in Europa im Laufe der letzten 1000 Jahre herausgebildet hat.
Nach dem Verscheiden wird die oder der Tote gewaschen. Anschließend folgt die Einkleidung. Ob Aufbahrung, d.h. Ausstellen des oder der Toten erfolgt, hängt vom sozialen Status und den örtlichen Gebräuchen ab. Die darauf folgende Einsargung schließt den Toten von den Lebenden ab. Die Überführung zur Grabstätte kann still als reiner Transport stattfinden aber auch als große öffentliche Zeremonie.
Die eigentliche Bestattung ist jene Handlung, bei der die sterblichen Überreste an einem festen Ort, einer Stätte abgesetzt werden und dort verbleiben. Ein Leichenschmaus oder Totenmahl kann den gesamten Handlungsablauf beschließen.

Selbstverständlich stehen jedem von Ihnen eigene Bilder von Bestattungen vor Augen, an denen Sie teilgenommen haben. Der Totenkult ist eine der wesentlichsten Kulturleistungen des Menschen. In den meisten Kulturen dieser Erde ist der Bestattungsritus religiös dominiert. Am auffallendsten bildet dies die altägyptische Kultur ab.

lch möchte mich der Gegenwart zuwenden.
Wegen der Parallelentwicklungen mit sehr wesentlichen Veränderungen kann ich nur Tendenzen darstellen.

Die „Löblichen Singer von 1501“, Johannes Reuchlin, die gesamte Gesellschaft des Mittelalters und der frühen Neuzeit verband der feste Glaube auf ein Weiterleben nach dem Tode.
Mit einem christlichen Begräbnis wollten die „Löblichen Singer“ die Seelen ihrer Mitbürger retten, und das unter eigener Lebensgefahr.
In unserer heutigen, pluralistischen Gesellschaft lassen sich 3 Gruppen unterscheiden.
Die eine Gruppe hält an der christlichen Hoffnung fest.
Die andere leugnet die Existenz eines Gottes und eines Lebens nach dem Tode. Mag man das als Atheismus oder Nihilismus bezeichnen.
Die dritte Gruppe lebt in den Tag hinein und stellt sich den tiefgreifenden Fragen nicht.

In ländlichen Gegenden, etwa im Allgäu, lebt noch das Brauchtum, wie Ludwig Thoma es vor etwa 100 Jahren beschrieb. Die Trauerfamilie erlebt die unmittelbare AnteiInahme und tatkräftige Hilfe der Nachbarn. Der geistliche Beistand segnet die Tote oder den Toten. Beim Requiem in der Kirche vereinigen sich tröstlich all die, welche die Verstorbenen ein letztes mal ehren und danken wollen. Orgel und Blasmusik wollen die verwundeten Seelen besänftigen. Predigt, Dankesreden, Fahnen von Vereinen, so gestaltet sich der Abschied und gleichzeitig wird das Andenken hochgehalten und befestigt.

Und in den Städten, den Wohnsilos aber auch den „Rasenburgen“?
Immer mehr zeigen sich die Folgen von Vereinsamung und Einsamkeit. Es ist nicht sicher, dass Nachbarn, die im selben Gebäude auf derselben Etage Wand an Wand wohnen einander kennen und von einander wissen.
So stirbt der eine unbemerkt in seiner Wohnung, die anderen vereinsamt im Krankenhaus.
In Essen sollen es laut einer Sendung der ARD vorn 20.09.05 350 Menschen sein, in Hamburg dreimal so viel. Die Bestattung regelt das Ordnungsamt möglichst preiswert, und sucht trotzdem per Nachlassgericht Angehörige, welche die 1700 € Bestattungskosten erstatten. Preiswert heißt in den geschilderten FäIlen: Einäscherung, ausheben der kleinen Erdlöcher mit einem mobilen Erdbohrer, den ein Zweitaktmotor antreibt. Einlassen der Urne. Erde drauf fertig.
Der Trend billig, billig, billig greift auch im Bestattungswesen um sich. Gräber? Nein danke. lch bin doch nicht blöd.

In Berlin wandeln sich Friedhöfe zunehmend in Parks mit einzelnen Gräbern oder Gräberinseln. Die dortige Friedhofsverwaltung wird auch gefragt, ob Plastiktüten als Urnenersatz möglich seien. Auch die Globalisierung hilft beim Sparen. „Butterfahrt zur letzten Ruhe“ überschrieb „Bild“ einen Artikel am 28.04.2004. Ein Sarg Discounter bietet die Fahrt (inklusive Speis und Trank) nach Tschechien an – ins Krematorium. 888 € kostet die „Discount Bestattung“. Anonym in der Urne.

Überschriften in der „Pforzheimer Zeitung“ wie „Seebestattung hoch im Kurs“, „Bestatter weiter für Sargzwang“, „Angst vor Urne auf dem Müll“, „Kirchenprotest zeigt Wirkung“ zeigen unübersehbar an, dass unsere jahrhunderte alte Bestattungskultur ins Rutschen gekommen ist, und niemand weiß, wo das endet. – Zumindest in Großbritannien, der Schweiz und Chile ist der Friedhofszwang bei Einäscherung aufgehoben.
Erich Honeckers Urne steht bis heute auf dem Wohnzimmerschrank seiner Margot in Santiago de Chile. Damals vor 89 hatten die beiden sich das wohl ganz anders vorgestellt.

Aus der Schweiz mit der Filiale in Darmstadt sucht die Friedwald GmbH Kunden in Deutschland. Die Waldbesitzer ergreifen gerne die Initiative dieser Firma. Verpachten für 99 Jahre sind für Waldbesitzer kein Problem aber die Kommunen. Stichwort Änderung des Flächennutzungsplans.

Der Begriff „Bestattung“ wird vollends aufgehoben durch eine technische Entwicklung neuester Art.
Nach der Einäscherung wird aus der Asche der Kohlenstoff ausgeschieden. In einem thermischen Verfahren entstehen Diamanten. Kosten ca. 7000 Schweizer Franken. In der Schmuckstadt Pforzheim muss ich nicht erläutern, was dann möglich ist. Die Bestattungskultur ist ein sehr wesentlicher Bestandteil einer jeden Geselischaft, auch einer säkularisierten wie der unseren. Wohin treibt unsere Gesellschaft, wenn Individualismus und Kommerzialisierung sich verbünden.
Eines erscheint mir gewiss: die Würde des Menschen wird angetastet. Doch das ist der Grundstein, auf dem unsere staatliche Ordnung aufbaut. Kann es sein, dass die Begräbniskultur dem Individualismus ausgeliefert bleibt?
Wir sollten uns daran erinnern, dass über Jahrtausende es zur Schmähung für einen besiegten Feind und zur Strafe für einen Verbrecher zählte, wenn ihnen eine Bestattung verweigert wurde. Das galt auch für die Ketzer während der Inquisition bis zu den Gehängten von Nürnberg. Staatsbegräbnisse, ich erinnere an Ronald Reagan, Queen Mum und den Papst zelebrieren eine gewisse Konstanz, die abfärben kann, wenn eine bedeutende Persönlichkeit wie Walter Witzenmann zu Grabe getragen wird.

Überblickt man einen längeren Zeitraum, so ist die Erfahrung möglich, dass unter uns Menschen leben, deren Tod die ganze Gesellschaft erfasst, und deren Bestattung nach einem gemeinsamen Zeichen ruft, geradezu schreit.
In Italien war es Anna Magniani, in Frankreich Yves Montand deren Tod alle ergriff. Für uns Außenstehende zeigt sich die Höhe der jeweiligen Kultur. Gemeinsame Trauer als Ausdruck der Menschlichkeit, freiwillig, nicht organisiert, nicht befohlen.
Äußerst dramatisch gestaltete sich die Bestattung von Lady Di, wie wir uns erinnern. Für das Volk war sie nicht eine abgespaltene Privatperson. Das Volk forderte von der Königin das volle Bestattungszeremoniell.

TOTENGEDENKEN

Wir begehen heute den Totensonntag. Er wurde 1814 eingeführt. Wenn wir wollen, lassen wir uns an diesem Tage daran erinnern, der Menschen zu gedenken, die wir persönlich kannten und die für jeden einzelnen von uns wichtig waren. An diesem Tag ist Zeit für Gedenken und Trauer. Es gehört zu den schmerzlichen Tatsachen eines ansteigenden Alters, dass die Namensliste der Verstorbenen immer länger wird. Ein gutes Buch und ein ehrliches Gespräch kann uns die tröstliche Erfahrung vermitteln, dass die Liebe zu einem Menschen, dessen Tod überdauert und erst mit uns vergeht.

1952 wurde in der Bundesrepublik der VOLKSTRAUERTAG als nationaler, als staatlicher Gedenktag eingeführt.
Gedacht wird der 1 808 500 toten Soldaten des ersten Weltkriegs, der 55 Millionen „Opfer durch Krieg und Gewalt“, so die offizielle Formulierung.

So hart es uns ankommt, wir müssen uns den erschreckenden Zahlen
stellen:
55 Millionen Tote
35 Millionen Verwundete
3 Millionen Vermisste
1,5 Millionen Tote durch Luftangriffe
weitere Tote durch Partisanenkämpfe, Racheakte,
UnfäIle, Flucht und Vertreibung.
Einzigartig der der industriell organisierte Massenmord
an rd. 6 Millionen Juden.

60 Jahre sind seit dem Ende des Naziregimes vergangen. Die meisten von uns waren Zeugen dessen, was man „Bewältigung der Vergangenheit“ nannte. Nach meinem Eindruck ist sie misslungen.
Viele Täter wurden nicht angeklagt oder gar gefasst. Blutrichter saßen nachher wieder auf Richterstühlen und genossen unbehelligt ihre Pensionen. Kein einziger Richter der Mordmaschine Volksgerichtshof wurde zur Rechenschaft gezogen. Der Auschwitz Prozess begann erst in den sechziger Jahren. Je weiter die Zeit voranschreitet, desto häufiger wird nach dem Schlussstrich gerufen werden. Die Enkel, Urenkel und Ururenkel fragen sich „warum sollen wir immer noch in Sack und Asche gehen, uns schämen, Deutsche zu, sein, weil es da einmal eine Generation der Täter gab? Zuwanderer sagen „was geht das uns an“?
Das ritualisierte, abstrakte und letztlich inhaltsleere Totengedenken produziert eine solche Einstellung.
Sobald wir Nachgeborenen uns aber die Fragen stellen
„Wie kamen die Verbrecher an die Macht?“
„Wie kam es zu den Verbrechen“?
„Welches waren die psychosozialen Mechanismen“?
und wenn wir über den Planeten Erde schauen und uns fragen, welche Menschheitsverbrechen wurden nach 1945 verübt, so müssten wir hellwach werden.
Wir stoßen dann auf die Frage „kann sich änliches bei uns, hier in Deutschland in Europa wiederholen“?
Und wenn ja, was sind die Anzeichen und wie können wir menschenverursachte Katastrophen abwehren?

lch weiß, es ist schwierig, seine Zeitgenossen für solche Fragen zu mobilisieren.
Es ist wie bei den Erdbeben. Sie ereignen sich in großen Zeitabständen und über den ganzen Planeten verteilt, sodass sich eine trügerische Sicherheit einnistet.

Gestatten Sie mir ein Beispiel.
1525 erheben sich die Bauern im Reich. Sie wollen in bescheidenem Umfang Partner im Staate werden. Sie stellen 95% der Bevölkerung. Der Aufstand wird von Adel und Bürgertum niedergeschlagen.
Rd. 100 000 Bauern werden abgeschlachtet.
Der nächste Anlauf zur Teilhabe an der Macht erfolgt 1848 also ca. 320 Jahre später. Wieder misslingt das Vorhaben, und es gibt Tote. Erst 1918 scheint der Erfolg zu winken. Die zurückströmenden Truppen und die in den Garnisonen besitzen moderne Waffen, Gewehre und Maschinengewehre für den Straßenkampf.

Doch 1933 erfolgt ein folgenschwerer Rückschlag für die Demokratie nämlich „die Revolution mit Erlaubnis des Herrn Präsidenten“, wie der Intimkenner Konrad Heiden formulierte. Konrad Heiden veröffentlichte 1936 die erste Hitlerbiographie in der Schweiz. Erst nach 1949 nach 425 Jahren ist die Staatsgewalt dort, wo sie hingehört in der Hand des Volkes.
Totengedenken sollte also alle einschließen, welche in Deutschland für Freiheit gekämpft und ihr Leben eingesetzt haben.
Ein solches Totengedenken schärft die Wachsamkeit für die Demokratie, denn sie ist ständig gefährdet. Vorgänge wie in Italien, Argentinien, Chile und den USA belegen das. Die Demokratie in Russland gärt.
Genügt es „nur“ der Menschen zu gedenken, die auf dem europäischen Kontinent ihr Leben verloren?
Die Atombombenabwürfe auf Hiroschima und Nagasaki führen uns vor Augen, dass noch eine neue, furchtbare Gefahr drohte und droht.
Würden die Zielpläne der USA und der früheren Sowjetunion für den Atomkrieg mit Interkontinentalraketen mit Mehrfachsprengköpfen und Fernbombern gleichzeitig veröffentlicht, so müssten die Menschen in Europa, den USA und der ehemaligen Sowjetunion bis ins Mark erschauern.
Totengedenken muss ständige Verurteilung der atomaren Massenvernichtungsmittel beinhalten .
Weichgespülte Formulierungen verschleiern damit die Gefahr. Wird nicht schon wieder von der Entwicklung kleiner Atombomben gesprochen? Was nicht entwickelt wurde, kann nicht verraten, verkauft, gestohlen und missbraucht werden.
Die ersten Atombomben waren keine Waffen. Sie wurden gegen Zivillisten „Wilde“ so die Ansicht von – Präsident Harry S. Truman – eingesetzt und zwar so, dass möglicht viele vernichtet werden sollten.
Das war Mord. Das war ein Verbrechen. Keinem Menschen steht das Recht zu, Zehntausende im Bruchteil einer Sekunde zu verdampfen und als Asche zu zerstäuben!
Überdies wurden die Oberlebenden für Jahrzehnte mit unsäglichen Leiden behaftet.
Auch das war neu.
„Nuce them“, „schmeißt Atombomben auf sie,“ forderten us amerikanische Patrioten und sicher gute Christen als in Teheran die amerikanische Botschaft zu Zeiten Chomenis gestürmt wurde. Das ist die Folge mangelhaften Totengedenkens.

In der Zeit nach l 945 wiederholte sich trotz der entsetzlichen Beispiele Massenmord, Völkermord. Als Beispiel nenne ich die „Roten Khmer“ in Kambodscha, den Mord an den Tutsi in Ruanda und die Morde in Srebrenica

Gab es für diese „Erdbeben“ keine Vorwarnung? – ich denke doch.
Seit Jahrhunderten ist es stets dasselbe Verhaltensmuster: Im Vorfeld wird eine Bevölkerungsgruppe verteufelt, abgewertet, perhorresziert. Sie wird ihrer Menschenwürde beraubt. Totengedenken heißt also, auf die verbalen Brandstifter zu achten und sie als gemeingefährlich an den Pranger zu stellen oder im Rahmen des Gesetzes zu isolieren.
Kurz: Totengedenken ist Selbstschutz.

Mein Vortrag schließt die Reihe ab, die dem Andenken Johannes Reuchlins gewidmet war. Diese Reihe verwirklichte Totengedenken im besten Sinne.
Das schriftliche Erbe wurde erneut vorgestellt. Aber wir konnten auch – 300 Jahre vor Immanuel Kant jenen mutigen Geist erahnen, der sich seines eigen Verstandes bediente und todesmutig den Kampf mit den dunklen Mächten der römischen Kirche wagte.

Mein Vortrag unterscheidet sich jedoch von allen vorausgegangenen, denn er betrifft todsicher jeden einzelnen von uns auf die eine oder andere Weise.
Gestatten Sie mir daher, dass ich in aller Bescheidenheit Hoffnung erwecken möchte.

Sie sehen ein Bild , das die meisten von lhnen nicht kennen werden.
Es ist das älteste Foto der Welt und zeigt das Angesicht jenes Menschen, dessen Name seit
2 Jahrtausenden für einen Großteil der Menschheit schicksalsbestimmend war und ist.
Das Bild entstand im Verlauf einer unvollendeten Bestattung und hat eine einzigartige, höchst dramatische Geschichte.

lm Jahre 1357 wird in einer kleinen Stiftskirche in Frankreich in voller Länge Ein Grabtuch ausgestellt, von dem behauptet wird, es sei das Grabtuch, in dem Christus bestattet worden sei.
Die Länge des Grabtuchs beträgt etwas über 4 Meter. Eigentümerin ist Jeanne de Vergy, die Witwe eines Ritters. Riesige Massen von Pilgern werden angezogen. Der Zweck der Ausstellung wird erreicht. Geld kommt in die Kasse. Der zuständige Bischof weigert sich zu glauben, dass das Grabtuch im Besitz einer vergleichsweise bescheidenen Adelsfamilie echt sein könne. Er befiehlt die Einstellung der Ausstellung.
Das geschieht.

32 Jahre später, 1389, stellt der Sohn Jeanne de Vergys das Grabtuch erneut aus. Rückhalt gewährt ihm Papst Clemens VII., der ein naher Verwandter ist. Bis zum Jahre 1578 wird das Grabtuch immer wieder ausgestellt, kommt aber in diesem Jahr nach Turin, wo es verbleibt. Immer wieder wird es ausgestellt.

Am 28. Mai 1898 macht der Turiner Fotograf Secondo Pia die ersten fotografischen Aufnahmen des Grabtuchs. Wie er das Negativ auf der Glasplatte betrachtet, sieht er das Bild, das Sie, verehrte Zuhörer, in Händen halten. Secondo Pia ist wie vom Donner gerührt und fragt sich „bin ich der erste Mensch, der nach 1900 Jahren sieht, wie Jesus wirklich ausgesehen hat?“

1973 darf der Schweizer Kriminologe Dr. Max Frei Proben von der Oberfläche des Grabtuches mit Hilfe von Klebestreifen abnehmen. Er findet Pollen. Es sind 49 Arten. 17 Arten sind nur in Zentral und Südeuropa verbreitet, 29 Arten im Nahen Osten. Unter diesen Arten wächst eine Gruppe von 13 Pflanzen ausschließlich in den Sand- und Salzwüsten Palästinas.
Einige Pollen konnten erst nicht identifiziert werden.
Bei einem Kongress 1978 – also 5 Jahre später – konnte Dr. Frei vortragen: „Ich habe im Schlamm des Toten Meeres diese Pollen gefunden, von Pflanzenarten, die heute verschwunden sind, aber vor 2000 Jahren existierten“ Die Forschungsergebnisse von Dr. Frei haben mehrere Auswirkungen:

1. Der Weg des Grabtuches wird erkennbar. Er führte von Jerusalem über die Stadt Edessa nach Konstantinopel. Dort wurde es 1204 von Kreuzfahrern geraubt. Es geriet offenbar in die Hände der Templer, die es über verschiedene Zwischenstationen nach Frankreich brachten.

2. Die Altersdatierung reichte bis in die Zeit Jesu.

3. Es zeigte sich, dass mit neuen Methoden, immer moderneren Apparaturen aus dem Grabtuch zusätzliche Informationen zu gewinnen waren. Die Fülle der Versuche und Experimente kann ich hier nicht darstellen. lch verweise auf die Zusammenfassung der Archeologin Maria Grazia Siliato. Das Ergebnis der letzten entscheidenden Untersuchung von 1991 sehen Sie hier:

NAZARE(H)NOΣ

IHΣOY

Das Grabtuch ist an 3 Stellen beschriftet, links und rechts des Antlitzes und unter dem Kinn. Mit römisch griechischen Buchstaben wird der Name des Hingerichteten und seine Herkunft festgehalten. Bitte erinnern Sie sich, dass Johannes Reuchlin bei seiner Korrespondenz sich als Pforzheimer verankerte.

Warum wurde das Grabtuch beschriftet?
Die Kreuzigung Jesu wurde an jenem Tage aus 3 Perspektiven beobachtet.
Zum einen aus dem Blickwinkel der Jerusalemer Priesterkaste, zum anderen aus dem des römischen Stadthalters Pontius Pilatus, und schließlich aus der Perspektive der Anhänger Jesu.

Die Priesterkaste konnte zufrieden sein. Der kritische Reformer war tot. Erfolgreich hatte man ihn bei Pilatus als nationalistischen Aufrührer denunziert. Pilatus wusste aber aus Erfahrung, dass sich in diesen unruhigen Provinzen von Zeit zu Zeit irgendwo irgendwer erhob und erklärte, dass er die und die Person sei, die geflohen, gerettet, auferstanden sei und so die Glut der niedergehaltenen Volksbewegung schürte. Pilatus wusste um den Einzug Jesu in Jerusalem. Deshalb hatte die römische Macht jede Phase des Geschehens genau verfolgt. Sie hatte den Tod des Verurteilten mit einem gezielten zwischen die Rippen gesetzten Lanzenstoß überprüft. Sie hatte für die Bewachung gesorgt, sowohl während der Leichnam vom Kreuz abgenommen wurde wie auch während des Transports. Sie hatte das nächstliegend Grab angemessen gefunden, wurden dadurch doch lärmende Geleitzüge oder ein Auflauf unterbunden. Schließlich noch im Grabe, als der Leichnam zugedeckt war, wurde das Grabtuch beschriftet und versiegelt, wie 2 weitere Abdrücke beweisen.
Die römischen Machthaber ließen entgegen den jüdischen Gebräuchen den schweren Stein vor den Eingang des Grabes wälzen. Matthäus weiß sogar von einer römischen Wache vor dem Grab. Mag mancher Skeptiker verwundert sich die Augen reiben, der archäologische Befund ist eindeutig. In dem Grabtuch lag der Leichnam Jesu von Nazareth. Das Grabtuch bestätigt in den Forschungsergebnissen die Überlieferung in den Evangelien und präzisiert sie:
Die Geißelung erfolgte auf den Rücken.
Bei der Nagelung trieb man die Nägel durch die Handwurzel und nicht durch die Handteller.
Das Grabtuch liefert keine Erklärung, wie Jesus das Grabtuch und das Grab verließ.
Ähnlich wie der menschliche Geist nur dem Geiste fassbar ist, so die Auferstehung Jesu nur durch Glauben. Zweifler und Ungläubige gab es schon damals. Ein Gekreuzigter soll…
Jedoch. An der Auferstehung Jesu und nicht an den Heilslehren etwa der Bergpredigt hängt das Christentum.

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