Literatur- & Musik-Matinee
am Sonntag, 10. November 2013, 11.15 Uhr
 

Rainer Maria Rilke (1875 – 1926)
Thematische Einstimmung auf Rilke und seine Zeit
durch Obermeister Claus Kuge

Rainer Maria Rilke gehört zu den ästhetischen Lyrikern zu Beginn des 20. Jahrhundert.
Und gilt als einer der bedeutendsten, deutschsprachigen Lyriker.

Neben vielen Gedichten und einer großen Menge von Briefen verfasst Rilke Aufsätze zur Kunst
und Kultur, eine Monografie des Bildhauers Auguste Rodin, einen Roman sowie zahlreiche
Übersetzungen, hauptsächlich aus französischen Texten. Viele der Briefe (es heißt, es waren
über 10.000), die er an Geliebte, Freunde, Künstler und Gönner geschrieben hat, und die einen
Großteil seines Schaffen ausmachen, gingen verloren.

Rilke lebte ein kompromissloses Leben als Individualist, in dem er sehr direkt an seiner Verwirklichung
als Dichter arbeitete. Immer wieder kündigte er Beziehungen und Lebensweisen auf, wenn er diese in
ihrer Verwirklichung bedroht sah. Was Rilke interessant macht ist seine unbedingte Authentizität, der
er sich lebenslang bewahrt hat.

René Karl Wilhelm Johann Josef Maria Rilke, wird am 4. Dezember 1875 in Prag geboren.
Sein Vater Josef Rilke ist nach einer gescheiterten Militärlaufbahn Beamter in einer Prager Eisenbahngesellschaft. Die Mutter Sophie ist Tochter eine Kaufmanns und Kaiserlichen Rats.
Sie fühlt sich unter ihrem Stande verheiratet und trennt sich 1885 von ihrem Mann, um in die Nähe
des Kaiserlichen Hofes nach Wien zu ziehen. Auch das Verhältnis zu ihrem Sohn ist gespannt.
Sie zieht René bis zu seiner Einschulung als Mädchen groß – mit Puppen, Kleidchen und langen
Zöpfen.

Vor allem die unheilvolle Familienkonstellation wird prägend: der schwache Vater Josef auf der
einen Seite, auf der anderen Seite die dominierende Mutter Sophie, voll unerfüllter Ambitionen, die
sie auf den Sohn überträgt. Nicht nur viele der frühen Erzählungen zeugen vom vergeblichen Versuch
Rilkes. sich aus der Abhängigkeit von ihr zu lösen, in der er sich „ganz willenlos, ganz Besitz ihrer Liebe“
fühlte, wie er noch 1907 in einem Gedicht schreibt. Noch als Vierzigjähriger wird er ein Gedicht mit der
verzweifelten Klage beginnen: „Ach wehe, meine Mutter reißt mich ein“.

Von 1886 bis 1890 besuchte Rilke auf Geheiß seines Vaters die Militär-Realschule St. Pölten.
Er soll auf eine Offizierslaufbahn vorbereitet werden. Rilke schreibt hier seine ersten Gedichte.
Von 1890 bis 1891 besucht er die Militär-Oberrealschule in Mährisch-Weißkirchen, 1891 wurde er hier aus gesundheitlichen Gründen entlassen. Bis 1892 erhielt er Unterricht an der Handelsakademie in Linz, danach Privatunterricht in Prag als Vorbereitung auf das Abitur finanziert von einem Onkel.

Rilkes erster Gedichtband „Leben und Lieder“ erscheint 1894.

1896 geht Rilke als Student der Philosophie nach München, damals ein kosmopolites Zentrum.
Im folgenden Jahr 1897 lernt er die 36-jährige Lou Andreas-Salomé kennen. Die Tochter eines
Petersburger Generals und einer Deutschen ist eine schillernde Persönlichkeit der Münchner Salons.

Sie hat sich literarisch bereits mit mehreren Büchern etabliert. Lou ist Autorin der ersten Biografie
Friedrich Nietzsches, mit dem sie eine vorübergehende, enge Freundschaft verbunden hatte.
Als Rilke sie trifft, ist sie bereits zehn Jahre mit dem Orientalisten Friedrich Karl Andreas verheiratet.
In ihrem Verhältnis mit dem jungen Dichter ist sie Rilkes Geliebte, mütterliche Freundin und intellektuelle
Lehrerin zugleich und bleibt es sein Leben lang. Sie vermittelt Rilke Nietzsches Gedankenwelt und
begeistert ihn für ihre Heimat, Russland. Unter Lous Einfluss ändert er selbst seine Handschrift und
seinen Vornamen (von „René“ zu „Rainer“).

Nietzsches programmatische Bejahung des in ständiger Wandlung begriffenen irdischen Daseins als
Kreatürlichkeit, Schmerz, Tod und Trieb, unter Verzicht auf die ohnehin brüchig gewordenen
Sicherungen von Metaphysik wie Naturwissenschaft und Freuds Entdeckung der Tiefendimension
des Unterbewussten, gaben Rilke Bestätigungen und Anhaltspunkte für die Verallgemeinbarkeit seiner
Existenzproblematik.

Es ist Rilkes große Lebensleistung, diese Bedrohung seiner Identität nicht nur überstanden, sondern
ins Positive gewendet zu haben, was freilich nur in der Dichtung – die er als „eine Art Selbstbehandlung“
der Psychoanalyse vorzog – wirklich gelang. Dort ist seine ungeheuer gesteigerte Sensibilität, seine
Fähigkeit, auch feinste Nuancen einer Farbe, eines Tons, einer Stimmung wahrzunehmen, ausbalanciert.
Durch sein Vermögen der ästhetischen Gestaltung.

Allerdings gelangen Rilke persönliche oder räumliche Bindungen nur in seiner Dichtung – nicht im
gelebten Leben.

Mit dem Abbruch seines in München nur halbherzig betriebenen Studiums, entschied sich Rilke für
den Dichterberuf, seither hat es ihn nie länger als einige Jahre an einem Ort gehalten.

Sein unstetes Wanderleben, meist in Mietswohnungen, oft auch als Gast adeliger und großbürgerlicher
Gönner, endet erst 1921 mit der Übersiedelung in den einsamen Schoßturm von Muzot im Schweizer
Wallis. In der Welt seines Werks aber formt und verdichtet sich die Vielzahl intensiver Stadt- und
Landschaftserlebnisse u.a. Florenz, Russland, Worpswede, Paris, die Provence, Ägypten, Spanien
das Wallis zum „imaginären Raum“ seiner inneren Landschaften.

Allen Liebesbeziehungen – und es gab nicht wenige – entzieht Rilke sich, sobald sie zum „Schicksal“
zu werden drohen, d.h. zur äußerlichen, nicht mehr von spontaner Zuneigung getragenen Verpflichtung.
So trennt er, der gehofft hatte, durch Ehe und Familie zum „Wirklichen unter Wirklichem“ zu werden,
sich 1902 nach nur einem Jahr des Zusammenlebens von seiner Frau der Bildhauerin Clara,
geb. Westhoff, und seiner Tochter Ruth.

1903 reist Rilke nach Italien und Frankreich und arbeitet u.a. als Sekretär des Bildhauers Auguste Rodin.

1904 lebt er in Rom, danach in Dänemark und Schweden.

1907 und 1908 reist er nach Capri

und 1909 lebt er wieder in Paris.

1912 in Venedig. Danach unternimmt er eine ausgedehnte Spanien-Reise, die ihn nach Toledo,
Cordoba und Sevilla führt.

Ab 1913 lebt er wieder in Paris, ist aber bei Kriegsausbruch im Jahr 1914 auf einer Deutschland-Reise
und bleibt unbeabsichtigt im Land. Er wird 1915 als bedingt tauglich gemustert.

Ab 1916 arbeitet er im Kriegsarchiv Wien und lebt ab 1917 wieder in München.

1921 entdeckt Rilke das Chateau de Muzot im Wallis für sich. Seine Förderer, die Brüder Reinhardt,
mieten es zunächst und kaufen es später für ihn. Auf Muzot verbringt Rilke den Rest seines Lebens.

Rilkes Leben wird ab nun immer stärker von Krankheiten überschattet.

1924 reist Rilke durch die Schweiz und schreibt weitere Gedichte. Er wird nun regelmäßig in Sanatorien
behandelt, doch man kann seine Beschwerden nur lindern.

1925 reist Rilke letztmalig nach Paris. Ende des Jahres lässt es sich erneut im Sanatorium Val-Mont
bei Montreux behandeln.

1926 verbringt er noch bis Ende Mai im Chateau. Seine Krankheit wird als seltene Form der Leukämie
erkannt. Rilke reist ein letztes Mal. Im Dezember begibt er sich wieder ins Wallis. Dort stirbt Rilke
am Morgen des 29. Dezember im Alter von 51 Jahren.

1927 wird Rainer Maria Rilke am 2. Januar auf dem Friedhof von Raron im Wallis beigesetzt.

Testamentarisch hat er seinen Grabspruch in eigenen Versen bestimmt:

Rose, oh reiner Widerspruch, Lust
Niemandes Schlaf zu sein
unter so viel Lidern

 

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