Gunter Demnig präsentiert persönlich sein Projekt „Stolpersteine“
der Pforzheimer Öffentlichkeit im
PZ-Forum.
am Donnerstag, 14. März 2008, 19.00 Uhr
Ansprache
Hans Martin Schäfer, Dekan i.R.Verehrte Damen und Herren,

lassen Sie mich in Ergänzung der eben gehörten Ausführungen zu unsrer Pforzheimer Initiative STOLPERSTEINE einige Gedanken aus eigener Betroffenheit vortragen.Gegen das Vergessen.

Ich habe noch mit erlebt, wie eine kleine Gruppe von schweigenden jüdischen Frauen und Männern einem Bauerwagen folgten, von 2 Kühen gezogen, mit einem Sarg beladen, in dem ein verstorbener Dorfbewohner jüdischen Glaubens zum Friedhof gebracht wurde. Es war in einem Dorf im Kraichgau, es muss kurz vor Beginn des 2. Weltkrieges gewesen sein.
Der offizielle Leichenwagen, immer von 2 Pferden gezogen, war vom Rathaus verweigert worden. Ein Bauer spannte daraufhin seine Kühe ein, den Wagen hatte er mit Stroh ausgekleidet. Für mich, den noch nicht 10 – Jährigen, ein merkwürdig trauriges Bild.

Dies war meine letzte Erinnerung an jüdische Mitbewohner des Dorfes. Bald waren sie alle verschwunden. Ihre Wegführung geschah für uns unbemerkt. Aber ich wusste wohl, sie waren nicht freiwillig gegangen.

Ich habe auch mitgehört – eine andere Erinnerung – , wie eine Mitarbeiterin in einer Pflegeeinrichtung der Evangelischen Kirche von der Angst der Kinder erzählte, wenn wieder ein Auto auf dem Kiesweg vor der Haustür bremste, mit einigen Männern , die dann ausstiegen und die Innenräume betraten. Die Kinder rannten weg und versteckten sich, wenn sie noch konnten. Selbst die Schwächsten unter den geistig Behinderten ahnten, dass ihnen Schlimmes bevorstand. Sie wurden untersucht, und einige bekamen einen Stempel aufs Handgelenk gedrückt. Selektion – wie später im großen Stil

Die Augen- und Ohrenzeugen von damals werden bald nicht mehr sein. Aber die Erinnerung darf mit ihnen nicht sterben. Sonst hätten die menschenverachtenden Verbrecher von damals einen späten Erfolg errungen: Sie hätten mit der Auslöschung der Menschen auch ihr Schicksal, ihr Opfer und damit auch ihre Würde ausgelöscht.

Der versöhnliche Blick.

Es gehr uns nicht um Anprangerung der Schuldigen, nicht um ein erzwungenes Schuldbekenntnis einer wegsterbenden Generation, nicht um besserwisserische Überheblichkeit der Nachgeborenen.
Die drückende Last des Schweigens in unsrer Gesellschaft braucht einen neuen, versöhnlichen Blick. Psychotherapeuten Israels und anderswo berichten von dieser „Last“ sowohl bei den Nachkommen der Opfer als auch der Täter. Die STOLPERSTEINE in unseren Straßen wollen an Einzelschicksalen, die sie der Vergessenheit entreißen, menschliche Reaktionen auslösen – gleichsam im Vorübergehen. Und Kinder werden ihre Eltern fragen, was damals geschah.

Damit Sprache wieder gefunden wird, sachgemäß und redlich. Dass Alte mit Jungen sprechen über Verstrickung, Blindheit, Neubeginn und Zivilcourage. Dass überhaupt Jugendliche motiviert werden für politische und gesellschaftliche Verantwortung. mit geschärftem Blick und demokratischem Bewusstsein.

Der heutige Tag ist ein wesentlicher Meilenstein an diesem Weg gegen das Vergessen.

Hans Martin Schäfer

(Es gilt das gesprochene Wort)

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