Matinee am 11.10.2009 – Über Schiller im Bilde
mit Regina M. Fischer

Begrüßungsrede Obermeister Claus Kuge

Freuen wir uns auf den Vortrag von Frau Fischer, die uns mit vielen Porträts und Bildern das
Abbild des Menschen Friedrich Schiller zeigen wird.

Vorab will ich Ihnen weniger bekannte Teile des sprachlichen Erbes von Friedrich Schiller
anskizzieren und Sie in das Bild seines Denkens, seines Geistes einführen:

Schiller im Bild – über Schiller im Bild sein.

Unsere geläufigen Teilbilder von Schiller sind wie folgt manifestiert:

  • Der Dramatiker
  • Der Verfasser der Schauspiele Die Räuber, Wilhelm Tell, Wallenstein, Don Carlos …
  • Der Lyriker
  • Der Verfasser der Gedichte und Balladen: Das Lied von der Glocke, An die Freude, Der Taucher

Zu seinem Bild gehören jedoch auch die heute eher vergessenen und kaum mehr verlegten

  • philosophischen Schriften
  • historischen Schriften
  • prosaischen Schriften

Nur zusammen mit den Schriften, den Schauspielen und der Lyrik entsteht für uns das tatsächliche Gesamtbild des klassischen Denkers Friedrich Schiller.

Hätten Sie vermutet, dass der Autor des nachfolgenden Textes Friedrich Schiller ist?

In seinem 18. Brief über die ästhetische Erziehung des Menschen schreibt er:

… Durch die Schönheit wird der sinnliche Mensch zur Form und zum Denken geleitet;
durch die Schönheit wird der geistige Mensch zur Materie zurückgeführt und der Sinnenwelt
wieder gegeben.

Aus diesem scheint zu folgen, dass es zwischen Materie und Form, zwischen Leiden und
Tätigkeit einen mittleren Zustand geben müsse, und dass uns die Schönheit in diesen mittleren
Zustand versetze. Diesen Begriff bildet sich auch wirklich der größte Teil der Menschen von der Schönheit, sobald er angefangen hat, über ihre Wirkungen zu reflektieren, und alle Erfahrungen weisen darauf hin. Auf der andern Seite aber ist nichts ungereimter und widersprechender, als ein solcher Begriff, da der Abstand zwischen Materie und Form, zwischen Leiden und Tätigkeit, zwischen Empfinden und Denken unendlich ist und schlechterdings durch nichts kann vermittelt werden. Wie heben wir nun diesen Widerspruch? Die Schönheit verknüpft die zwei entgegen gesetzten Zustände des Empfindens und des Denkens, und doch gibt es schlechterdings kein Mittleres zwischen beiden. Jenes ist durch Erfahrung, dieses ist unmittelbar durch Vernunft
gewiss. …

Dies ist der eigentliche Punkt, auf den zuletzt die ganze Frage über die Schönheit hinausläuft, und
gelingt es uns, dieses Problem befriedigend aufzulösen, so haben wir zugleich den Faden gefunden,
der uns durch das ganze Labyrinth der Ästhetik führt.

Wir allen kennen aus unserer jüngeren deutschen Geschichte die Geschwister Hans und Sophie Scholl,
die Begründer der Weißen Rose und die Geschichte ihres intellektuellen Widerstands gegen das
NS-Regime und Adolf Hitler.

Im ersten ihrer Flugblätter argumentieren und begründen sie mit einem Text von Friedrich Schiller,
die Notwendigkeit des Widerstands der Deutschen gegen das totalitäre Regime Hitlers mit folgenden Textpassagen.

… Aus Friedrich Schiller, „Die Gesetzgebung des Lykurgus und Solon“:
„…. Gegen seinen eigenen Zweck gehalten, ist die Gesetzgebung des Lykurgus ein Meisterstück
der Staats- und Menschenkunde. Er wollte einen mächtigen, in sich selbst gegründeten, unzerstörbaren Staat; politische Stärke und Dauerhaftigkeit waren das Ziel, wonach er strebte,
und dieses Ziel hat er so weit erreicht, als unter seinen Umständen möglich war. Aber hält man
den Zweck, welchen Lykurgus sich vorsetzte, gegen den Zweck der Menschheit, so muß eine
tiefe Mißbilligung an die Stelle der Bewunderung treten, die uns der erste flüchtige Blick abgewonnen hat. Alles darf dem Besten des Staats zum Opfer gebracht werden, nur dasjenige
nicht, dem der Staat selbst nur als ein Mittel dient.

Der Staat selbst ist niemals Zweck, er ist nur wichtig als eine Bedingung, unter welcher der
Zweck der Menschheit erfüllt werden kann, und dieser Zweck der Menschheit ist kein anderer,
als Ausbildung aller Kräfte des Menschen, Fortschreitung.

Hindert eine Staatsverfassung, daß alle Kräfte, die im Menschen liegen, sich entwickeln;
hindert sie die Fortschreitung des Geistes, so ist sie verwerflich und schädlich, sie mag übrigens noch so durchdacht und in ihrer Art noch so vollkommen sein. Ihre Dauerhaftigkeit selbst
gereicht ihr alsdann viel mehr zum Vorwurf als zum Ruhme – sie ist dann nur ein verlängertes
Übel; je länger sie Bestand hat, um so schädlicher ist sie.

… Auf Unkosten aller sittlichen Gefühle wurde das politische Verdienst errungen und die
Fähigkeit dazu ausgebildet. In Sparta gab es keine eheliche Liebe, keine Mutterliebe, keine kindliche Liebe, keine Freundschaft es gab nichts als Bürger, nichts als bürgerliche Tugend.

… Ein Staatsgesetz machte den Spartanern die Unmenschlichkeit gegen ihre Sklaven zur Pflicht;
in diesen unglücklichen Schlachtopfern wurde die Menschheit beschimpft und mißhandelt.
In dem spartanischen Gesetzbuche selbst wurde der gefährliche Grundsatz gepredigt, Menschen
als Mittel und nicht als Zwecke zu betrachten dadurch wurden die Grundfesten des Naturrechts
und der Sittlichkeit gesetzmäßig eingerissen.

… Der Staat (des Lykurgus) könnte nur unter der einzigen Bedingung fortdauern, wenn der
Geist des Volks stillstünde; er könnte sich also nur dadurch erhalten, daß er den höchsten
und einzigen Zweck eines Staates verfehlte.“ …

Als Zeitgenosse der französischen Revolution von 1798 war Schiller ein durch und durch politischer Mensch. Auch wenn er damals die emotionalen Erfolgserlebnisse des Aktivismus anderen dichterischen Zeitgenossen überlassen hat, wie z.B. seinem Freund Johann Wolfgang von Goethe. Deshalb war er
nicht weniger engagiert als die anderen deutschen Intellektuellen, die damals ihre Lehrjahre in Politik absolvierten und ihre ersten ernüchternden Lektionen lernen mussten über die Schwierigkeit sich gegen
die traditionellen Manipulateure der Macht durchzusetzen. Die schriftstellerischen Pioniere im endenden
18. Jahrhundert und zu Beginn bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Sachen politisches Engagement waren neben Goethe, Georg Forster, Heinrich Kleist, Johann Müller, Wilhelm von Humboldt,
Friedrich Hölderlin, Nikolaus Lenau und Heinrich Heine.
Für sie alle war das „politische Lied“ nicht automatisch ein „garstig Lied“. Alle soeben genannten Schriftsteller, in erster Linie Friedrich Schiller und Johann Wolfgang von Goethe sind der Weimarer Klassik zugeordnet oder der deutschen Romantik. Ihr politisches und soziales Engagement darf weder unterschätzt noch vergessen werden. Und vor allem deshalb nicht, weil besonders im 19. Jahrhundert
eine Idealisierung der so genannten deutschen Dichterfürsten erfolgte, vor allem durch die A-Politische Sicht und Nivellierung der bürgerlichen und groß-bürgerlichen Oberschicht. Vor allem die geistigen
Eliten des neuen deutschen Kaiserreichs wollten ihren Goethe, ihren Schiller und ihren Humboldt glorifizieren und als deutsch-nationale Heroen sehen. Ihre politischen und kritischen Denkansätze zu Gesellschaft und deutscher Geschichte wurden deshalb bewusst aus dem Fokus der Betrachtung und Beschäftigung genommen.

Die „Politik der Unpolitischen“ hat einer der besten Kenner der deutschen Geschichte, der amerikanische Historiker Gordon A. Craig, wieder in unseren Blickwinkel gebracht und ein Bild über unsere Klassiker und gesamtheitlich vervollständigt und zurecht gerückt.

Kein Angehöriger seiner Generation dachte gründlicher über die politischen Entwicklungen seiner Zeit
nach wie Friedrich Schiller und brachte so zielgenau Vorahnungen in Bezug auf ihre künftigen Folgen
zum Papier. Dies ist für mich der Grund für die nach wie große Aktualität seiner Einsichten in den politischen Prozess.

Um das sprachliche Bild Schillers für Sie jetzt zu komplettieren zitiere ich zum Schluss ganz kurz aus
seinen allen bekannten Gedichten folgende Verse:

Das Lied von der Glocke:
Fest gemauert in der Erden
Steht die Form aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden!
Frisch, Gesellen, seyd zur Hand!
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben;
Doch der Segen kommt von oben.

An die Freude.
Freude, schöner Götterfunken,
Tochter aus Elysium,
Wir betreten feuertrunken,
Himmlische, dein Heiligthum.
Deine Zauber binden wieder,
Was die Mode streng getheilt;
Alle Menschen werden Brüder,
Wo dein sanfter Flügel weilt.

Claus Kuge

(Es gilt das gesprochene Wort)

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