Literaturmatinee
am Sonntag, 10.05.2009, 11.15 Uhr
Stadtbibliothek

Claus Kuge, Obermeister Löbliche Singergesellschaft
Vortrag und Lesung
Verbrannte Dichter, verbrannte Bücher

in Kooperation mit der Stadtbibliothek Pforzheim

I. Die Grundlagen

Die geistige Grundlage der Bücherverbrennung bildete die nationalsozialistische Ideologie – die staatspolitische Grundlage wurde am 30. Januar 1933 durch die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler geschaffen.

Um Ihnen die Stimmungslage von 1933 in Deutschland und die Medien- und Meinungspolitik
authentisch nahe zu bringen zitiere ich Ihnen jetzt aus einem Artikel von Joseph Goebels aus dem
Berliner „Angriff“. Dieser Artikel wurde am 2. Febr. 1933, also 2 Tage nach Hitlers Ernennung
zum Reichskanzler veröffentlicht:

Das große Wunder ist geschehen!

Woran viele schon verzweifelten und was manch einer nicht mehr für möglich halten wollte,
das ist nun Tatsache geworden!

Adolf Hitler hat die Führung der deutschen Politik in seiner Hand, und nun kann die Arbeit beginnen!

Wir haben nie einen Hehl daraus gemacht, dass wir, ließe man uns an die Macht, ein Erbe
zu übernehmen hätten, wie vor uns keine andere Regierung.

Vierzehn Jahre lang hat der Marxismus mit den ihm verbündeten bürgerlichen Mittelparteien
den Boden der deutschen Existenzfähigkeit unterhöhlt und unterwühlt; in einer uferlosen Misswirtschaft wurde die Novemberschmach staatlich stabilisiert, die Wirtschaft kam an den
Rand des Abgrundes, die Finanzen verfielen dem Ruin, Millionen Menschen verloren Arbeit,
Brot Heimat und Scholle, die Kommunen wurden verwüstet und die Etats der Länder und des Reiches gerieten in Verfall.

Vierzehn Jahre aber auch traten wir als unerbittliche Mahner auf, schärften die Sinne des
Volkes, proklamierten den Widerstand gegen die zunehmende Katastrophe, pochten an die Gewissen, bis dann schließlich das Volk in Bewegung kam und sich aus der Irrnis und Wirrnis
der Nachkriegszeit seine mitreißende Millionenfront erhob, die als Vorhut den Aufbruch der
Nation einleitete.

Der Reichskanzler (Adolf Hitler) hat vom Reichspräsidenten (Feldmarschall von Hindenburg)
die Befugnis zur Auflösung dieses Reichstages erbeten und erhalten. Die Nation wird noch
einmal zur Entscheidung aufgerufen, und sie hat es damit in der Hand, der Regierung jene Handlungsfreiheit zu geben, die sie zur Durchführung ihrer umfassenden Reformmaßnahmen
nötig hat.

Die Judenzeitungen wimmern vor Entsetzen. Sie führen beweglich Klage darüber, dass das
deutsche Volk nun wieder einmal in die Wirren eines neuen Wahlkampfes hineingestürzt wird.
Wie schnell haben sie gelernt, heute das zu verbrennen, was sie gestern anbeteten.

Die Partei hat einen großen Sieg erfochten. Der 30. Januar machte ihr das Tor zur Verant-
wortung auf. Dieser Sieg genügt uns nicht! Wir haben eine Regierung, wir haben ein Programm,
wir haben den Willen zum Aufbau, woran es uns noch fehlt, das ist jenes ganz große und überwältigende Vertrauen des deutschen Volkes, das sich mit seiner zähen Kraft und in einem hinreißenden nationalen Bekenntnis Adolf Hitler und seinem Kabinett zur Verfügung stellt.

Noch einmal treten wir an! Es wird ein Kampf werden, wie ihn Deutschland noch niemals sah.
Wir werden aus diesem Kampf als die glorreichen Sieger hervorgehen!
An die Arbeit!
Deutschland ist im Erwachen!
Wir wollen nicht ruhen und nicht rasten, bis die Feinde des Reiches zerschmettert am
Boden liegen!

Soweit Joseph Goebbels zum Triumph Adolf Hitlers.

Was jetzt geschah, war der politische Umbau der Weimarer Republik in die NS Diktatur.
Und das geschah in atemberaubendem Tempo. Wie der demokratische Vorgänger Rechtsstaat
in nur knapp 3 Monten in eine Diktatur umgebaut werden konnte, schildere ich Ihnen mit 13 Daten
von 1933:

1. Februar:
Der Reichstag wird aufgelöst. Hermann Göring, seit 2 Tagen Reichsminister und gleichzeitig
Innenminister von Preußen beginnt in Preußen mit Amtsenthebungen.

11. Februar:
Göring stellt der preußischen Polizei Hilfspolizisten, bestehend aus SA und SS Männern zur Seite.

17. Februar:
Göring erlässt für die Polizei Schießbefehl.

27. Februar:
Den Reichstagsbrand in Berlin legen die Nazis den Kommunisten zur Last und verbieten die Kommunistische Presse. Göring in Preußen verbietet auch die Nationalsozialistische.

28. Februar
Auf Drängen Hitlers erlässt Reichspräsident Hindenburg „Die Verordnung zum Schutz von Volk
und Staat“. Unter dem Deckmantel dieser Verordnung setzen die Nazis sofort wichtige Grundrechte
außer Kraft.

5. März
Die Reichstagswahlen haben eine Beteiligung von 89 %. Von 33,5 % klettern die Nazis auf 44 %
und erringen mit den Mandaten der Kampffront „Schwarz-Weiß-Rot“ die knappe Mehrheit von 52 %
im Reichstag.

von 5. bis 10. März
erfolgt in der Gleichschaltung von Berlin und den Ländern die Absetzung aller noch nicht nationalsozialistisch geführter Länderregierungen und dafür die Einsetzung von Reichskommisaren.

24. März
Das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ wird erlassen. Dies bedeutet: Gesetzte
können von der Reichsregierung außerhalb des in der Verfassung vorgesehenen Verfahrens und von
der Verfassung abweichend, erlassen werden.

31. März
Erstes Gesetz „zur Gleichstellung der Länder mit dem Reich“. Das heißt die Länderregierungen
werden ohne Wahl nach dem %-Verhältnis der letzten Reichswahl neu gebildet und können ebenfalls Gesetze in Abweichung von den Länderverfassungen erlassen.

7. April
Das zweite Gesetz zur Gleichschaltung der Länder erlässt jetzt die Einsetzung von Reichsstatthaltern
statt den Länderregierungen. Und: Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums schließt
alle Nichtarier von Ämtern aus und leitet zahlreiche Auswechslungen aus politischen Gründen ein.

2. Mai
Ein Tag nach der ersten nationalsozialistischen Mai-Feier werden die Gewerkschaften aufgehoben.

10. Mai
Bildung der „Deutschen Arbeitsfront“ als faktische Zwangsvereinigung von Arbeitern, Angestellten
und Unternehmern – der NSDAP angeschlossen und unter Leitung des Nazis Robert Ley.

Und:
Auch nur drei Monate brauchte es vom Machtantritt Adolf Hitlers am
30. Januar 1933 bis zum 10. Mai 1933, an dem Professoren und Studenten der höchsten deutschen Lehranstalten die Bücher von 94 deutschsprachigen und 37 fremdsprachigen Dichtern vor Publikum
auf den Scheiterhaufen verfeuerten. Dazu noch Werke etlicher Philosophen, Theoretiker und Sachbuchautoren.

Keiner der Professoren und Studenten wurden dazu mit vorgehaltener Waffe gezwungen, denn die Bücherverbrennung war keine staatlich angeordnete Zwangsmaßnahme, sondern eine Propaganda-
Aktion ideologisch vernagelter Studenten der Deutschen Studentenschaft.

Lesung aus:

– Erich Maria Remarque: Im Westen nichts Neues

– Erich Kästner: Das Gedicht: Auf den Schlachtfelder von Verdun

II. Die Vorbereitungen

Das neue Regime war am Tag der Bücherverbrennung also gerade einmal drei Monate an der Macht.
Es nutzte alle Mittel des Staates und die NSDAP-Parteiorganisationen und die Einschüchterungstaktiken der SA und SS, um seine Macht zu festigen.

Die Deutschen stürmten geradezu in die NSDAP, über anderthalb Millionen Neuzugänge hatte die
Partei in den letzten drei Monaten zu verzeichnen, die treuen 850.000 Altmitglieder waren in Windeseile
in die Minderheit geraten. Die NS-Spitze fürchtete um eine rasante Verbürgerlichung der Partei.
Am 1. Mai 1933 wurde deshalb ein vorläufiger Aufnahmestopp in die NSDAP verhängt.

Aber es hat auch Misserfolge für das Regime gegeben. Der erste Judenboykott vom 1. April 1933
war gescheitert. Der Umsatz der jüdischen Geschäfte ging kaum zurück, die Bevölkerung verhielt sich passiv, und man beschloss, solche Aktionen vorerst nicht zu wiederholen und die Juden eher unauffällig, durch bürokratische Maßnahmen aus dem öffentlichen Leben zu verdrängen. Ansonsten setzte die
NS-Reichsregierung auf positive Gemeinschafts-erlebnisse wie Reden, Lichter, Fackelzüge, um eine nachhaltige Stimmungs- und Meinungs-Veränderung in Richtung auf die NS Ideologie weiter voranzutreiben.

Es ist historisch gesichert, dass die Bücherverbrennungen in Berlin und beinahe jeder deutschen Universitätsstadt nicht auf die Initiative des Propagandaministers Joseph Goebbels oder gar
Adolf Hitlers oder eines anderen Regierungsmitglieds zurückgingen.

Die Idee stammte von der organisierten „Deutschen Studentenschaft“ (DSt) und wurde mit großem Aufwand und Elan ausgeführt.

In den Universitäten herrschte schon während der Jahre der Weimarer Republik ein ausgesprochen reaktionärer, chauvinistischer, nationalistischer Geist.

Und seit dem Sommer 1931 wurde die Deutsche Studentenschaft ganz offiziell und nach demo-
kratischer Wahl von einem Vertreter des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbundes
(NSDStB) geführt. Es bedurfte nach dem 30. Januar 1933 nicht viel, um die „studentische Selbstgleichschaltung“ zu vollenden.

Und als die deutsche Regierung im März die Errichtung eines „Reichsministeriums für Volksaufklärung
und Propaganda“ beschloss, dauerte es nur wenige Tage, bis auch die Studenten sich ein eigenes „Hauptamt für Presse und Propaganda der Deutschen Studentenschaft“ genehmigten.

Und gleich in seinem „Rundschreiben No. 1“ vom 6. April 1933 kündet der Leiter des Amtes,
nachdem er unter Punkt 1 die Gründung des Amtes bekannt gegeben hat, unter Punkt 2 folgendes an:
„Die erste Maßnahme des Propagandaamtes, die die gesamte Studentenschaft und die gesamte deutsche Öffentlichkeit erfassen soll, findet als vierwöchige Gesamtaktion, beginnend am 12. April endigend am 10. Mai 1933, statt. Näheres über den Inhalt wird noch bekannt gegeben.“

Zwei Tage später wird man in einem zweiten Rundschreiben konkret. Die erste Maßnahme des neuen Amtes wird sein:

„Öffentliche Verbrennung jüdischer zersetzenden Schrifttums durch die Studentenschaften der
Hochschulen aus Anlaß der schamlosen Hetze des Weltjudentums gegen Deutschland.“

In dem Schreiben werden die Studenten erstens dazu aufgefordert, die eigenen Buchbestände „von derartigen durch eigene Gedankenlosigkeit oder Nichtwissen hineingelangten Schriften“ zu „säubern“.

Zweitens habe jeder Student die Regale seiner Bekannten zu säubern.

Drittens sollen die Studentenschaften dafür sorgen, dass öffentliche Büchereien „von derartigem Material befreit“ werden.

Viertens habe jeder innerhalb seines Einflussbereichs „großzügige Aufklärungsaktion“ zu übernehmen.

Am 12. und 13. April wurden an den deutschen Universitäten die so genannten „12 Thesen wider den undeutschen Geist“ der Deutschen Studentenschaft ausgehängt.

Als These 5 gab man bekannt:
„Schreibt der Jude deutsch, dann lügt er“.

Und These 7 lautete.
„Wir wollen den Juden als Fremdling achten, und wir wollen das Volkstum ernst nehmen. Wir fordern deshalb von der Zensur. Jüdische Werke erscheinen in hebräischer Sprache. Erscheinen sie in Deutsch, sind sie als Übersetzung zu kennzeichnen. Deutsche Schrift steht nur Deutschen zur Verfügung. Der undeutsche Geist wird aus öffentlichen Büchereien ausgemerzt.“

Es gab keinen Protest an den deutschen Hochschulen und Universitäten.
Nicht von den Studenten und so gut wie keinen von den Professoren.

Die Thesen wider den undeutschen Geist, die Vorbereitungen zur Verbrennung der Bücher, all das lief reibungslos und in aller Regel unwidersprochen ab. Nur in wenigen Städten sorgten sich Professoren um den Bestand der Universitätsbibliothek. Da einigte man sich dann meist so, dass auch das undeutsche
Buch „zu Forschungszwecken“ in der Bibliothek verbleiben durfte.

1933 wurde in Deutschland, dem Land der Dichter und Denker, in nur 5 Wochen das Ende des freien Geistes und der freien Feder vorbereitet… von seiner eigenen geistigen Elite.

Lesung aus:

– Lion Feuchtwanger: „Erfolg – 3 Jahre Geschichte einer Provinz“
der Text: der nordische Gedanke

– Irmgard Keun: Das buntseidene Mädchen

– Feuersprüche

III. Die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933

In der Nacht vom 10. Mai 1933, der Nacht der Bücherverbrennung, regnete es in Berlin.
Auf dem Opernplatz stand Joseph Goebbels auf einem kleinen Podest im hellen Mantel, unter Scheinwerfern, mit Blick auf die Flammen des dort aufgeschichteten Bücher-Scheiterhaufens.

Mit Blick auf die große Menge der Studenten in den ersten Reihen vor dem Scheiterhaufen, den
zahlreich dahinter angetretenen braun-uniformierten SA-Männern und mit Blick auf die große Menge Zuschauer, die den Opernplatz zum Überlaufen brachten.

Joseph Goebbels verkündete das Ende des „Zeitalters eines überspitzten jüdischen Intellektualismus“
und dem „Durchbruch der deutschen Revolution“.

Noch am Vortag vor seinem jetzt großen Auftritt und Publikum hatte er daran gezweifelt, dass die Bücherverbrennung in großem Stil und vor großem Publikum stattfinden würde. Er hatte sich deshalb
nicht definitiv dazu geäußert, ob er persönlich auf dem Opernplatz erscheinen würde.

Er hatte sich auch nicht offiziell dazu bereit erklärt, eine Rede zu halten.

Für den Fall eines zu kleinen Scheiterhaufens mit zu wenigen Büchern und einer geringen Anzahl von Zuschauern hatte er für sich beschlossen, nicht zu erscheinen.

Denn schließlich war es keine Aktion seines Ministeriums … seit 13. März 1933 war Joseph Goebbels Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda … sondern eine Aktion der Deutschen Studentenschaft.

Als ihm an diesem Abend jedoch seine Beobachteter meldeten, dass sich der Opernplatz wirklich
füllte, kam Goebbels.

Und machte die Bücherverbrennung kurzer Hand zu seiner Sache.

Zur Staatsaktion.

Zur Aktion der NSDAP.

Auf diesen positiven Fall hatte er sich gut vorbereitet.
Er hatte eine flammende Rede vorbereitet, aus der ich jetzt die wichtigsten Abschnitte wiedergebe:


„Meine Kommilitonen!
Deutsche Männer und Frauen!

Das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus ist nun zu Ende, und der Durchbruch der deutschen Revolution hat auch dem deutschen Wesen wieder die Gasse freigemacht.
Als am 30. Januar dieses Jahres die nationalsozialistische Bewegung die Macht eroberte, da konnten wir noch nicht wissen, dass so schnell und radikal in Deutschland aufgeräumt werden könnte.

Ihr jungen Studenten seid Träger, Vorkämpfer und Verfechter der jungen revolutionären Idee dieses Staates gewesen, und so wie ihr in der Vergangenheit das Recht hattet, den falschen Staat, den Unstaat zu berennen und niederzuwerfen,

so wie ihr das Recht hattet, den falschen Autoritäten dieses Unstaates euren Respekt und eure Achtung zu versagen,

so habt ihr jetzt die Pflicht, in den Staat hineinzugehen, den Staat zu tragen und den Autoritäten dieses Staates neue Würde und neue Geltung zu verleihen.

Ein Revolutionär muss alles können. Er muss ebenso groß sein im Niederreißen der Unwerte,
wie im Aufbauen der Werte.

Wenn ihr Stundenten euch das Recht nehmt, den geistigen Unflat in die Flamme hineinzuwerfen, dann müsst ihr auch die Pflicht auf euch nehmen, an der Stelle dieses Unrates einem wirklichen deutschen Geist die Gasse freizumachen.

Der Geist lernt sich im Leben und in den Hörsälen, und der kommende deutsche Mensch wird
nicht nur ein Mensch des Buches, sondern auch ein Mensch des Charakters ein, und dazu wollen
wir euch erziehen.

Jung schon den Mut zu haben, dem Leben in die erbarmungslosen Augen hineinzuschauen, die Furcht vor dem Tode zu verlernen, um vor dem Tode wieder Ehrfurcht zu bekommen – das ist
die Aufgabe des jungen Geschlechts.

Und deshalb tut ihr gut daran, um diese mitternächtliche Stunde den Ungeist der Vergangenheit den Flammen anzuvertrauen. Es ist eine starke, große und symbolische Handlung, eine Handlung, die vor aller Welt dokumentieren soll:

Hier sinkt die geistige Grundlage der Novemberrepublik zu Boden. Aber aus diesen Trümmern
wird sich siegreich erheben der Phönix eines neuen Geistes, eines Geistes, den wir tragen, den
wir fördern und dem wir das entscheidende Gesicht geben und die entscheidenden Züge aufprägen.

Lesung aus:

– Bertolt Brecht: Die Bücherverbrennung

– Pforzheimer Morgenblatt vom 19.06.1933:
Artikel: „Die Hitlerjugend demonstriert gegen den undeutschen Geist“

„Die Hitlerjugend demonstriert gegen den undeutschen Geist

So wie vor Wochen in zahlreichen Universitätsstädten Bücherverbrennungen vorausgingen, so rief auch am Samstag abend die Hitlerjugend, der Bund deutscher Mädchen und das Hitlerjungvolk zu einer solchen Feier auf. Dem Akt der Bücherverbrennung ging ein Umzug durch die Stadt voraus. In der zwischenzeit war auf dem Marktplatz ein Scheiterhaufen errichtet worden. Bücher, die von ihren früheren Besitzern abgeliefert und solche, die von der Hitlerjugend gesammelt worden waren, sollten in den Flammen aufgehen. Beim Eintreffen des Zuges auf dem Marktplatz, hatten sich auch bereits die Verteter der staatlichen und städtischen Behörden eingefunden, begrüßt von Kreisjugendführer Schenkel, der in seinen weiteren Ausführungen betonte, dass es insbesondere ein Verdienst der Hitlerjugend sei, wenn an diesem Abend überall in Deutschland die Flammenzeichen lodern würden, um den Schmutz und Schund in unserer Literatur zu vernichten. Anschließend sprach der stellvertretende Kreisleiter Lichtenfels. Er geiselte scharf jenes Literatentum, dass sich in Deutschland breit gemacht habe und sich in der schamlosesten Weise an der deutschen Jugend versündigt hat. Die deutsche Jugend sei dazu berufen, das Werk Adolf Hitlers zu vollenden und darüber zu wachen, dass die deutsche Dichtung für alle Zeiten rein und edel bleiben müsse. Als dritter Redner sprach sodann Standartenführer Rilling zu der Jugend, sie auffordernd, der Wahrheit und der Idee zum Siege zu verhelfen.
Mit einem Sprechchor einer Gruppe des Bundes deutscher Mädchen wurde die Bücherverbrennung eingeleitet. Unter den Klängen des Präsentiermarsches wurde sodann der Bücherhaufen angezündet und hellauf loderten die Flammen, als ein weiterer Feuerspruch von den Mädchen vorgetragen wurde. Buch auf Buch wurde in die Flammen geworfen, bis auch das letzte vom Feuer verzehrt war. Entblößten Hauptes sang sodann die Menge, die sich im Verlauf der Geschehnisse auf einige Tausend angesammelt hatten, den Choral: „Nun danket alle Gott“. Mit dem Lied vom „Guten Kameraden“ und einem dreifachen „Sieg heil“ auf den Reichskanzler wurde die Feier geschlossen.“


IV. Das Ende des freien Geistes und der freien Feder in Deutschland

Doch es waren nicht nur die Studenten, die die Gunst der Stunde nutzen wollten, um die deutsche
Literatur ein für alle Mal von en Büchern zu „befreien“, die sie für undeutsch hielten.

Auch der im „Börsenverein“ organisierte deutsche Buchhandel hatte früh die Zeichen der Zeit erkannt
und am 12. April 1933 ein „Sofortprogramm des deutschen Buchhandels“ beschlossen, in dem es
heißt:
Der deutsche Buchhandel begrüßt die nationale Erhebung.“
Er hat seine Bereitwilligkeit zur Mitarbeit an ihren Zielen alsbald zum Ausdruck gebracht.

Am 13. Mai druckte man im Börsenblatt die Namen der Autoren, die am bedrohlichsten und undeutschesten erschienen:
Lion Feuchtwanger, Ernst Glaeser, Arthur Holitscher, Alfred Kerr, Egon Erwin Kisch, Emil Ludwig, Heinrich Mann, Ernst Ottwalt, Theodor Plievier, Erich Maria Remarque, Kurt Tucholsky und
Arnold Zweig.

Und drei Tage später, am 16. Mai, druckte man die ganze lange Liste, die Liste der 131 Namen.

Auf der Liste fanden sich liberale und linke, besonnene und extremistische, talentierte und dilettierende Schriftsteller.
Schriftsteller mit falscher Gesinnung aus NS-Sicht oder falscher Religionszugehörigkeit.

Und selbstverständlich Feinbild Nr. 1 und Nr. 2 Schriftsteller: Juden und Kommunisten.

So willkürlich die Liste war, sie entschied Schicksale.
Sie raubte Schriftstellern die Existenz – ihre Bücher wurden nicht mehr verlegt und nicht mehr
verkauft. Und das Vermögen der meisten von ihnen wurde am 23. August 1933 beschlagnahmt.

Die Schriftsteller wurden vor ihrer Umwelt stigmatisiert – ihnen und ihren Familien wurde der Entzug
der deutschen Staatsangehörigkeit angedroht. Bei vielen wurde die Androhung ausgeführt. Ihnen
wurden auch ihre Ämter und akademische Titel weggenommen.

Viele Schriftsteller fühlten sich zur Emigration gezwungen und traten damit in eine ungeschützte Lebenssituation ein, in der nicht wenige von ihnen endgültig den Boden unter den Füßen verloren.

Einige der in Deutschland verbliebenen Schriftsteller wurden ins KZ gebracht und dort umgebracht.

Andere in Deutschland verbliebene Schriftsteller wurden durch Schreibverbote zum Schweigen
gebracht.

Die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933 war Grundlage zum:

Schriftleitergesetz vom 4. Oktober 1933

Das zusammen mit dem Reichskulturkammergesetz vom 22. September 1933 Zensur und
Pressezensur festschrieb.

Ab jetzt konnte in Deutschland nichts mehr publiziert oder verlegt werden, was den Nazis nicht
passte.

Das war bis 1945 das Ende des freien Geistes und der freien Feder in Deutschland und in den
von Nazi-Deutschland besetzten Ländern in Europa.

Claus Kuge

(Es gilt das gesprochene Wort)


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