Literatur- & Musik-Matinee
PZ-Forum.
am Sonntag, 02.03.2008, 11.15 Uhr

Begrüßungsrede Obermeister Claus Kuge

Eichendorff – ein romantischer Realist

Es ist mir ein besonderes Vergnügen Ihnen mit Frau Inés Zimmermann, die Dame erneut vorstellen
zu dürfen, die seit 2001 in Zusammenarbeit mit dem Suhrkamp Verlag jährlich ein Projekt auf die
Beine stellt, in dem sie Literatur mit Musik verknüpft.

Die leisen Töne an den Flöten werden heute wieder von ihr stammen.

Prof. Dr. Klaus Thomas wird dazu Gedichte im Wechsel mit der Musik von Josef Freiherr von
Eichendorff (1788-1857) rezitieren.

Im Jahr 2007 wurde in Deutschland aufwändig und begleitet mit vielen Veranstaltungen der
150. Todestag von Josef von Eichendorff gewürdigt.

Zur Einstimmung in unsere heutige Reise in die Vergangenheit der deutschen Romantik will ich Sie
auf das Thema des so genannten romantischen einstimmen …

… und einen Bezug über Eichendorff und seine zeitgenössische Musik herstellen zu unserem
21. Jahrhundert. Dem Jahrhundert des Realismus.

Eichendorff hat die Romantik als kulturgeschichtliche Epoche um rund 30 Jahre überlebt.

Als ein großer, und damals unzeitgemäßer ragte er im 19. Jahrhundert in eine Ära der industriellen
und nationalstaatlichen Umwälzung Europas hinein.

Wie kaum ein anderer Dichter der Romantik beförderte er damals die Popularisierung des romantischen … was allerdings nicht möglich gewesen wäre ohne die Musik.

Eichendorff Gedichte kamen vor allem in Vertonungen von Robert Schumann unter das Volk.

Ich werde jetzt einige seiner Gedichtanfänge zitieren, um vorab bei Ihnen ein sprachlich-melodisches
Bild von dem zu erzeugen, was bis heute landläufig als romantisch gilt:

Genießen Sie jetzt mit mir Gedichtanfangszeilen von Josef Freiherr von Eichendorff:

In einem kühlen Grund, da geht ein Mühlenrad …

Oh Täler weit, oh Höhen, oh schöner grüner Wald …

Wer hat dich, zu schöner Wald aufgebaut so hoch da droben

Es war, als hätt der Himmel die Erde still geküsst

Was fangen wir also an mit diesem romantischen Erbe, das dem einen als harmloses Hausmittel
gegen Modernisierungsschmerzen gilt.

Dem anderen aber als ein gefährlicher Suchtstoff, dessen Gebrauch zur Zerstörung der Vernunft führt.

Und von dem die Deutschen mehr als andere Völker in Europa abhängig wurden mit allen bekannten Folgen die in der Katastrophengeschichte des 20. Jahrhundert wiederzufinden sind.

Ist es heute nicht so, dass im günstigsten Fall das romantische und seine Trivialisierung im Schlager,
im Massentourismus oder in der Werbung dem Menschen hilft, die technischen und ökonomischen
Zwänge der Moderne zur ertragen.

Im schlimmsten Fall aber zum mörderischen Aufstand gegen Aufklärung und Zivilität anstachelt.

Sollten wir also der Romantik als künstlerisch fruchtbare Epoche den ihr gebührenden Ehrenplatz in
den Museen und Bibliotheken einräumen – dem romantischen als einer Geisteshaltung aber abschwören
– weil es eigentlich eine Geistesverwirrung ist?

Die Antwort heute scheint längst gegeben: welcher Politiker oder Wirtschaftsführer möchte als
Romantiker gelten.

Wir sind doch alle nüchtern, realistisch und pragmatisch.

Wir sehen der Wirklichkeit ins Auge.

Wir machen uns nichts vor!

Aber was ist die Wirklichkeit eigentlich?

Je größer die Datenmengen werden, die wir über sie sammeln, desto unübersichtlich wird sie für uns.

Die Realisten tappen im Dunkeln!

Die Romantiker aber kannten und kennen sich im Dunkeln aus.

Für sie ist die Realität ein Ansporn eigene Wirklichkeiten zu schaffen:

künstlerisch, philosophisch und auch politisch.

Oft ist es schwer auszumachen, ob das Romantische reaktionär oder revolutionär ist.

Die romantischen Dichter des 18. und 19. Jahrhunderts rebellierten gegen den klassischen Kanon der Literatur und erfanden eine, angeblich den Tiefen der Geschichte entströmende Volkspoesie.

Die politischen Romantiker zu denen wir gerade auch den Preußen Freiherr vom Stein rechnen
müssen, deuteten gegen Napoleon, das Programm der französischen Revolution in eine Tradition deutscher Freiheit um. Damals Politisch opportun wurde diese Freiheit aus Archiven heraus erfunden,
die bis ins Mittelalter rückverfolgbar seien …

Davon ist uns bis heute die kommunale Selbstverwaltung geblieben.

Im Gegenzug zur zeitgeistigen Orientierung auf das lokale ist dabei der Universalismus nicht auf der Strecke geblieben – er wurde im 19. Jahrhundert von der deutschen Romantik ausgehend überall in Europa in nationale Mythologie übersetzt.

Mit der Romantik haben sich gerade die Deutschen nicht von der Moderne abgewendet.
Im Gegenteil:

Sie war ihr Zugang zu ihr. Sie war ein Programm der Entgrenzung und Öffnung – nicht der Abschottung.

Als deutsche Affäre bezeichnet der Deutsche Philosoph und Schriftsteller Rüdiger Safranski die Romantik. Der Erfolg seines 2007 erschienen Buches, dessen geistige Grundlagen und Inhalte er vor mehreren hundert Begeisterten Zuhörern in der Thalia Buchhandlung Pforzheim letzten Herbst vorgestellt hat, zeigt uns dass diese Affäre für die Deutschen nicht abgeschlossen ist.

Die Deutschen haben sich und der Welt mehr zu bieten, als die Unterordnung unter den angeblich unausweichlichen Zwang der Standortlogik, der Effizienz und der Optimierung.

Das Romantische Wunderkind Novalis fand die Formel für eine Geisteshaltung in dem, was angeblich ist, nicht auf dem Leim geht:

„In dem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn

dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen

dem Bekannten die Würde des Unbekannten

dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe

so romantisiere ich es“

Wer sich an Novalis hält wird, wann immer die Rede auf angebliche Sachzwänge kommt, dies mit einem Lächeln romantischer Ironie ertragen …

… Vielleicht sind deshalb Romantiker die wahren Realisten!

In diesem Sinn:

Romantisches Vergnügen wünsche ich Ihnen bei sonntagmorgendlichen Realität unserer Literatur- und Musikmatinee „Weckend die uralten Lieder steigt die wunderbare Nacht“

Ich danke Eckard Fuhr, dessen Kommentar in der WELT vom 26.11.2007 mich zu dieser Einführung inspiriert hat.



Claus Kuge

(Es gilt das gesprochene Wort)

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