„Pforzheim – auch eine Stadt der Jugend“

Vortrag anlässlich der Jahreshauptversammlung der LÖBLICHEN SINGERGESELLSCHAFT
VON 1501 PFORZHEIM am 6. Januar 2013

Prof. Dr. Martin Erhardt, Rektor der Hochschule Pforzheim

Sehr geehrte Herren Obermeister Kuge und Hirschfeld,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Hager,
sehr geehrte Herren,

als Herr Hirschfeld mich letztes Jahr gefragt hat, ob ich am 6. Januar bei Ihrer Hauptversammlung
den Vortrag halten möchte, hat mich das sehr gefreut. Die „Löbliche Singergesellschaft von 1501 Pforzheim“ ist eine in vieler Hinsicht wichtige Institution in unserer Stadt. Gerade deshalb will ich Ihnen
zu einem Thema vortragen, das für unsere Stadt in der heutigen Zeit von sehr wichtiger Bedeutung sein muss: „Pforzheim – auch eine Stadt der Jugend“.
Oder anders, nämlich als Frage formuliert: „Ist Pforzheim auch eine Stadt der Jugend?“

Meine Themenwahl mag den einen oder anderen vielleicht ein wenig erstaunt haben, schließlich stehe
ich auch als Rektor der Hochschule für Angewandte Wissenschaften vor Ihnen. Und ein hochschul-politisches oder gar wissenschaftliches Thema hätten sie vielleicht eher erwartet. Aber ich möchte mich
aus drei Gründen dem Thema Jugend und Pforzheim nähern:

Erstens bin ich gebürtiger Pforzheimer. Meine Familie lebt seit über 9 Generationen in dieser Stadt.
Beim Angriff am 23. Februar 1945 haben nur meine Großeltern, mein Vater und seine Geschwister überlebt, weil sie zu dieser Zeit nicht in der Stadt waren.
Ich bin hier aufgewachsen, zur Schule gegangen, und nach 15 Lehr- und Wanderjahren wieder zurückgekehrt. Für mich persönlich ist dieses Thema als Bürger dieser Stadt ein Anliegen.

Zweitens bin ich Vater von drei Kindern, die in Pforzheim leben, zur Schule gehen und zumindest ihre Jugend in Pforzheim verbringen werden. Auch vor diesem persönlichen Hintergrund interessiert mich
dieses Thema besonders.

Zum Dritten stehe ich hier auch als Rektor der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Pforzheim. Unsere Bachelor Studierenden sind klassischer Weise Jugendliche und davon haben wir aktuell 5.500
auf dem Campus – im Jahre 2015 werden es 6.300 sein.

Im nun folgenden Vortrag werde ich wie folgt vorgehen:

Zunächst werde ich den Begriff „Jugend“ definieren und eingrenzen.
Dann geht es darum, die besondere Wichtigkeit der Jugend in unserer Gesellschaft und für unsere Stadt darzustellen. Dem folgt eine Untersuchung am Beispiel des Masterplanprozesses wie die Jugend heutzutage in Entscheidungen bezüglich Gemeinwesen und Stadtentwicklung eingebunden ist. Dabei werde ich auch auf zwei Pforzheimer Besonderheiten eingehen.

Danach darf ich Ihnen sieben Thesen mit auf den Weg geben, wie künftig vielleicht noch viel intensiver jugendliche Impulse für Pforzheim genutzt werden können.

Dem eigentlichen Vortrag darf ich noch zwei Zitate voranstellen.
Goethe wird das Zitat nachgesagt: „Die Sorge geziemt dem Alter, damit die Jugend eine Zeit lang sorglos sein könne.“ Ganz in diesem Sinne war am 1. Dezember 2012 in der PZ folgender Kommentar von einem Singer, Herrn Esslinger-Kiefer, zu lesen (ich zitiere):

„Gut, mit 70 ist man nicht mehr das Maß der Dinge. Da sollte man die Klappe halten. Und mit Gelassenheit auf die Welt blicken. Denn die ist immer noch voller Wunder. Direkt vor unserer Haustür. Zum Beispiel morgens um halb acht. Wenn vor dem schönen neuen Hilda-Gymnasium mit der langen grünen Selbstverstümmelungsmauer die Pennäler zum Unterricht kommen. Mitten in Pforzheim hat sich hier ein erfreuliches Szenario etabliert. Ehrlich: Es ist eine Freude, daran teilhaben zu dürfen. Diese jungen Leute zu sehen! Die machen Hoffnung. Die sind gut drauf!
Die werden‘s packen!

……

Den Hilda-Pennälern sind heute andere Dinge (als früher) implantiert: die Smartphones und die MP3-Player. Voll verkabelt , eben online, traben sie zur Bildungsstätte, von der Deutschlands innovativste Denkfabrik iThink!Thank gerade prophezeit: „Schulkinder werden in wenigen Jahren nicht mehr auf gedrucktem Papier lesen lernen, sondern mit dem Fingerstrich auf Touchpads..“

Insofern sind die jungen „digital natives“ gut unterwegs, wenn sie sich vor dem Schulstress von der
MP3-Station noch einen musikalischen Adrenalinstoß reinziehen oder bei Muttern per Handy nachfragen, was es denn heute zum Essen gibt.

Kein Zweifel: Die Frauenpower greift auch bei den Teenie-Poppers. Es sind vorwiegend die Girls, die vor der Schule noch ihre letzte Zigarette reinziehen, und es sind vorwiegend die Girls, die hier noch die letzten Telefonate führen. Bevor die wesentlichen Fragen des Tages nicht geklärt sind, kann man sich schließlich nicht unbeschwert in den Unterricht stürzen.

Arabische Ausmaße haben auch die Begrüßungsrituale angenommen. Baci, Baci. Küsschen links, Küsschen rechts. Das Gruppenfeeling muss gepflegt werden, und wenn die Duftnote stimmt, lernt es sich einfach leichter! Es ist schön, seinen Arbeitsplatz am Eingang des Hilda zu haben!

Jeden Morgen um halb acht das real existierende Leben! Das bringt einen so richtig auf Trab!“

(Kommentar Albert Esslinger-Kiefer, PZ vom 1.12.2012, S. 25. )
Die beschriebene Situation finden ich fast jeden Tag in vielfältigen Formen auf dem Campus der Hochschule oder einmal im Semester bei der Erstsemesterbegrüßung mit nahezu 1.000 Studienanfängern.

Wer gehört der Bevölkerungsgruppe an, die als Jugend bezeichnet wird?
Wie wird diese Gruppe definiert?

Eine zentrale Deutungslinie bezieht sich auf das Alter. Nach dem deutschen Sozialgesetzbuch ist ein Jugendlicher, „wer 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist“. Soziologisch wird unter Jugend die Zeit vom
13. bis zum 25. Lebensjahr verstanden.

Unabhängig vom konkreten Alter wird Jugend als Lebensabschnitt definiert. In die Jugendzeit fallen die Pubertät, das Ende der Schulzeit, der Beginn der Berufsausbildung bzw. des Studiums und die eigene Identitätsfindung. Bei einigen ist die Phase sehr früh abgeschlossen, bei anderen dauert sie etwas länger. Dieses Phänomen, d.h. die Verlängerung der Adoleszensphase, ist ein Ergebnis der Moderne.
Erst seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte sich Jugend zu der eigenständigen Lebensphase, die wir heute kennen.

Diese Lebensphase ist geprägt durch die Selbstfindung, die am Übergang vom Kindes- zum Erwachsenenalter von jedem Menschen zu leisten ist. Es erfolgt die Ablösung von den Eltern und es beginnt eine selbständige Lebensführung. Prägende Strukturen aus dem Kindesalter werden in der Jugendphase zugunsten der individuellen Entfaltung verändert oder aufgegeben. Jugendliche werden in dieser Phase mit Anderssein, Vielfalt, Ungleichheit und den eigenen Schwächen und Stärken konfrontiert. Die eigene Persönlichkeit entwickelt sich in sozialen Prozessen in der Familie, der Schule und den Cliquen. Als Rahmenbedingungen wirken zudem materielle Voraussetzungen und die Zugehörigkeit zu soziokulturellen und ethnischen Gruppen. In dieser Lebensphase erfolgt die schwierige Positionsbestimmung auf dem Weg zum Erwachsenwerden.

Die Studienanfänger in Pforzheim sind heute im Durchschnitt 22 Jahre alt – nicht zuletzt wegen des G8 Effekts werden die Studienanfänger künftig jedoch jünger sein. Je nach Definition sind sie also am Ende oder eben in der Mitte ihrer Jugend. Sie haben ihre erste schulische Ausbildung abgeschlossen, haben
unter Umständen ihr bisher gewohntes soziales Umfeld verlassen, sind in eine fremde Stadt gezogen und haben einen ersten bahnbrechenden Schritt getan, der sie bis zum Lebensende prägen wird.

Warum ist die Jugend in unserer Gesellschaft und für Pforzheim so besonders wichtig?

Die Jugend ist grundsätzlich die Zukunft einer Gesellschaft und damit auch die Zukunft dieser Stadt.
Dieser Perspektive sollte daher bei allen Maßnahmen und Entscheidungen in einem Gemeinwesen von grundsätzlicher Bedeutung sein. Diese Perspektive gerät heutzutage immer wieder ins Hintertreffen, was der demographischen Entwicklung geschuldet ist. Zum einen steigt der Anteil der Migranten in unserer Bevölkerung und zum anderen steigt der Anteil der Senioren während der Anteil der Jugendlichen an der Gesamtbevölkerung dramatisch sinkt. In Pforzheim wohnten 2011 nach den Zahlen des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg 120.709 Bürger. In den Altersklassen 15 – 18 und 18 – 25 wurden zusammen 14.209 gezählt und in der Altersklasse 65 und mehr 25.035.

Damit rücken Themen und Aufgaben für das Gemeinwesen in den Vordergrund, die mit Integration, Internationalität und Mehrsprachigkeit einer multikulturellen Gesellschaft, barrierefreier Mobilität, Pflege und Versorgung sowie Sicherheit vor Leichtigkeit zu tun haben.

Allerdings muss bedacht werden, dass sich diese Themen und Aufgaben morgen nur mit der Jugend von heute lösen lassen.

Der Erbe des Kaffee-Imperiums Andreas Jacobs hat letztes Jahr in einem Interview gesagt:
„ Hören Sie auf die nächste Generation! Sie erzählen Ihnen, wie die Welt morgen sein wird.“

Unsere Welt ist schnelllebig und eine Veränderung jagt die andere. Damit ändern sich die Rahmenbedingungen, in denen unsere Kinder aufwachsen, und natürlich auch die Anforderungen an die nächste Generation bezüglich Aus- und Weiterbildung, Umweltbedingungen und Freizeitmöglichkeiten.

Die Jugend formuliert ihre Ansprüche ohne Schnörkel und im Zeitalter der Mobilität besteht jederzeit die Möglichkeit in das Land oder die Stadt zu gehen, wo den individuellen Ansprüchen besser entsprochen wird. Pforzheim ist keine Studentenstadt, hat eine wenig attraktive Innenstadt und ein direkter Vergleich
mit Karlsruhe und Stuttgart ist jederzeit möglich. An Kultureinrichtungen gibt es hier vor Ort 14 Museen, Bibliothek, Drei-Sparten-Theater, Kinos, Kupferdächle, Kulturhaus Osterfeld, Figurentheater, Diskotheken und über 30 Kneipen und Restaurants.

Um die hochqualifizierten Jugendlichen an Pforzheim zu binden haben die Stadt und die Hochschule zusammen mehrere Initiativen gestartet, u.a. Erstwohnsitzkampagne, Goldstadtwalk, STAY-Initiative, Werkschau im CCP, Kreativzentrum, Sporthallennutzung durch Studierende, Fachkräfteallianz. Ein Student, der in Pforzheim wohnt, bedeutet neben dem Geldzufluss an den Stadtkämmerer aus der Einkommensteuerverteilung statistisch gerechnet auch 7.900 € Umsatz pro Jahr im Einzelhandel der Stadt – bei 5.500 Studierenden wären das über 40 Millionen € Umsatz.

Die oben genannten Initiativen sollten im übertragenen Sinne für die Jugend der Stadt insgesamt möglich sein. Allerdings ist dieses Unterfangen ungleich schwieriger, weil die Stadt dann auf viele Gesprächs-partner trifft. Zudem hat Pforzheim die höchste Jugendarbeitslosenquote unter den Stadtkreisen in
Baden-Württemberg.

Jugendliche haben Interessen und Bewegungsdrang und sind eine der Gruppen, die gerade den öffentlichen Raum stark in Anspruch nehmen. Es geht um Lernen, Sport, Musizieren, Ausgehen, Kennenlernen, Partys, Discos. Gerade Jugendliche sind intensive Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs. Man ist mobil, jederzeit online und sucht „coole“ Kulturangebote ggf. eben auch in anderen Städten. Die Wenigsten in dieser Altersgruppe denken dabei an das Ballett im Stuttgarter Staatstheater.

Bezüglich der Wichtigkeit der Jugend darf ich noch ein paar persönliche Eindrücke und Wahrnehmungen beisteuern, die sich z.T. auch in der Gesamtdokumentation der Ergebnisse aus den Arbeitsgruppen, Zukunftswerkstätten und Fachforen des Masterplans Pforzheim finden lassen:

– Eine 7. Klasse des Theodor-Heuss-Gymnasiums entwickelt einen Ratgeber für Gleichaltrige, was in Pforzheim und Umgebung erlebt werden kann, weil es so etwas wohl noch nicht gibt.

– Die Sporthallen sind zum großen Teil zu klein, veraltet und nicht mehr zeitgemäß. Wahrscheinlich werden nicht noch mehr Hallen benötigt, aber dafür moderne Sportstätten.

– Die Stadt verfügt über viele Schwimmbäder. Davon sind ein großer Teil kleine Schulbäder und das Wartberg-Freibad müsste mit großem Aufwand renoviert und modernisiert werden.

– Die Zeitungen berichten regelmäßig über nächtliche Ruhestörung durch Jugendliche, zuletzt in Huchenfeld. Als Grund wird auf fehlende Freizeiträume hingewiesen.

– Das Haus der Jugend muss laut aktueller Berichterstattung dringend saniert und modernisiert werden.

– Studentische Partys münden neuerdings in Polizeieinsätze mit 13 Einsatzwagen, also über 20 Polizisten, davon 2 Hundeführer. Wohlgemerkt, es handelte sich nicht um eine Party der verbotenen Hells Angels sondern um eine Ruhestörung durch jugendliche Studierende. Herr Klimanski hat am darauffolgenden Samstag, 17. November 2012 in der PZ (S. 70) einen trefflichen Kommentar dazu veröffentlicht mit dem Titel „Studentenstadt light“.

– Eine etablierte Jugend- oder Studentenszene ist in Pforzheim nicht erkennbar. Aber Warum?

In diesem Zusammenhang stellt sich die konkretere Frage:

Wie ist die Jugend in Entscheidungen und Maßnahmen eingebunden?

Die Jugend als solche hat keinen Sitz im Gemeinderat oder anderen relevanten Gremien. Jugendliche
haben weniger Möglichkeiten als Erwachsene, ihre Interessen durchzusetzen. Selten machen Jugendliche die Erfahrung, ernsthaft nach ihren Wünschen zur Stadtentwicklung gefragt zu werden und die tatsächliche Umsetzung ihrer Ideen zu erleben. Dabei demotivieren die nicht selten langwierigen Abläufe zusätzlich.

Gleichwohl versucht die Stadt die Jugend bei Maßnahmen und Entscheidungen mit einzubeziehen. So wurden bei der großen Befragung im Rahmen des Masterplanprozesses auch Jugendliche angeschrieben (s. S. 121 ff. der Gesamtdokumentation):

Die Auswertung der Antworten von Schülerinnen und Schülern (wobei ich die Definition dieser Teilgruppe der Befragten nicht gefunden habe) ergab:

Positiv wird wahrgenommen: Schlössle Galerie (54%), kulturelles Angebot (33%) und Park- und Grünanlagen (29%)

Negativ wird wahrgenommen: Mangelnde Sicherheit (48%), Straßen- und Verkehrssituation (25%)
und Verschmutzung (27%)

Veränderungswünsche bestehen bezüglich: Freizeitangebot (26%), Park- und Grünanlagen (20%)
und Sicherheit (19%)

Es fehlen: Freizeitangebote (38%), Gastronomie (34%) und Park- und Grünanlagen (23%)

Die besondere Wahrnehmung der Park- und Grünanlagen durch die Jugend will ich nochmals zusammenfassen: s.o.

Studierende, Mitarbeiter und Professoren haben sich wenn überhaupt nur persönlich in den Masterplanprozess eingebracht. Eine explizite inhaltliche Einbindung der jugendlichen Gruppe der Studierenden hat bisher nicht stattgefunden.

Mein Kollege Professor Gairing hat im Rahmen eines Seminars mit 30 Studierenden Empfehlungen zur Organisations- und Prozessstruktur des Masterplans erarbeitet, die wohl auch Berücksichtigung finden.

Ich zitiere nun im Folgenden aus der Gesamtdokumentation zum Masterplanprozess:

„Ein besonderes Anliegen … ist unter anderem die Einbeziehung der Interessen und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen zur Erarbeitung der Leitlinien für die künftige Stadtpolitik. Jedoch stellt die Beteiligung der Kinder am Masterplanprozess eine Ausnahme dar, denn Mitbestimmung für Kinder hat in der Regel weder eine Kultur noch ein festes Modell.

Um den Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit zu geben, ihre Vorstellungen für die Zukunft der Stadt zu formulieren, erarbeiteten der Stadtjugendring und der Deutsche Kinderschutzbund in Kooperation mit der Stadtverwaltung ein Konzept zur Beteiligung von Kindern und Jugendlichen. An dem Projekt nahmen zehn Kindergruppen unterschiedlichen Alters der Klassen eins bis sieben aller Pforzheimer Schulen, der Grundschulförderklassen und der Kindertagesstätten teil.“

Die ältesten Teilnehmer bei diesem Beteiligungsansatz waren somit maximal 13 Jahre alt. Jugendliche zwischen dem 13. und dem 25. Lebensjahr waren also in Form einer spezielle Gruppe – oder nochmals unterteilt nach Altersstufen in mehreren Gruppen – nicht explizit im Sinne von gesondert beteiligt.

Gleichwohl lassen sich auch aus diesen Befragungen klare Ergebnisse ableiten, die von den Jugendlichen sicher bestätigt werden (Zitat):

„Die Kinder entwickelten eigene Vorstellungen und Wünsche bezüglich einer zukunftsfähigen Stadt Pforzheim. Dazu gehört beispielsweise ein Haus für Jungen und Mädchen, in welchem man sich auch nach Geschlechtern getrennt aufhalten kann, oder ein Haus für alle Bevölkerungsgruppen. Aber auch erlebbare Wiesen und Gärten genauso“ wie eine gute ÖPNV-Anbindung und sicheres Fahrradfahren, was im Zeitalter der E-Bikes Generationen übergreifend eine neue Dimension erreicht hat.

Mehr und breitere Radwege sowie Schul- und Freizeitradwegepläne wurden zusammen mit anderen Vorschlägen im Masterplanprozess bereits zu einer Projektidee mit dem Titel „ Ausbau des Radwege-netzes“ verdichtet.

Des Weiteren gaben die Kinder an (Zitat):

„Außerdem begeistern sie sich für weniger Lärm auf den Straßen Pforzheims, Indoorspielplätze, Möglichkeiten um zu klettern und für ein Schwimmbad.

Einiges, was die Kinder gerne nutzen, wie z.B. die Schwimmbäder, besteht bereits, jedoch zeigt sich in weiteren Bereichen Handlungsbedarf, um Pforzheim kinder- (und jugend-) gerechter zu gestalten.“

Nachgefragt bei der Altersklasse 5. bis zur 7. Klasse ergab sich (Zitat):

„dass die Qualität einer kinderfreundlichen Umgebung nicht ausschließlich von ausgewiesenen Spielplätzen abhängt. Es empfiehlt sich, Orte zu stärken, die aufgrund ihrer natürlichen Umgebung und ihres Charakters zu Spielorten werden und Bedürfniskonkurrenzen zu thematisieren. So wird die Enz gerne als Spiel- und Lernort in Anspruch genommen, und viele Kinder wünschen sich einen Wasserlauf in der Innenstadt. Zusätzlich sollten Vereine gestärkt, bestehende Netzwerke ausgebaut und Kinderangebote analog den Jugendangeboten in den Stadtteilen aufgebaut werden, auch, um regelmäßige Angebote für Kinder (und Jugendliche) zu schaffen. Denn punktuelle Freizeitangebote der freien Träger erscheinen den Kindern nicht verlässlich. Von Kindern, die nicht in Vereinen aktiv sind, werden vor allem die Bolzplätze und der Skaterplatz als positiv wahrgenommen.

Auch sollte den SchülerInnen die Möglichkeit eröffnet werden, ihre Schulen mitzugestalten, um Potenziale zu nutzen und Gleichgültigkeit zu verhindern. Hierbei spielt … die Nutzbarkeit und Gestaltung der Schulhöfe eine große Rolle.

….

Das Projekt zeigt, dass Kinder (und somit auch Jugendliche) eigene Ideen und Wünsche für eine übergeordnete Identität, die Kommune, entwickeln können, sich mit ihrer Umwelt auseinander setzen und in der Lage sind die Ideen anderer weiterzuentwickeln.“

In den Masterplanprozess ist wiederum der Input von Elternvertretern sowie aus der professionellen und ehrenamtlichen Jugendarbeit in Vereinen und anderen Institutionen durch die Beteiligung der jeweiligen Erwachsenen eingeflossen. Somit ist auch auf diese Weise sicherlich „Jugend“ wenn auch indirekt vertreten.

Um den Masterplan auf den Weg zu bringen, bedurfte es einer gründlichen Analyse der Ausgangslage.
Nur wer diese kennt, kann sich daran machen die Zukunft zu gestalten. Pforzheim soll keine Stadt der Vergangenheit, sondern eine Stadt der Zukunft und damit auch der Jugend sein.

Diese Ausgangslage beinhaltet natürlich Besonderheiten, die diese Stadt über Jahrzehnte wenn nicht über Jahrhunderte hinweg geprägt haben. Es bedarf daher in dem einen oder anderen Fall einer gefühlvollen, die historische und die kulturelle Tragweite berücksichtigende Auseinandersetzung und Aufarbeitung der Vergangenheit in Bezug auf unsere Jugend heute.

Zwei markante Beispiele will ich kurz anreißen. Zum einen geht es darum, dass insbesondere der
23. Februar 1945 in Pforzheim im Vergleich mit anderen Städten (z.B. Heilbronn, Stuttgart, Dresden, Hamburg, Berlin) jedes Jahr eine deutlich stärkere, das öffentliche Leben beherrschende Präsenz entfaltet. In allen diesen Städten haben sich im 3. Reich mit Holocaust und Bombardierung sowie anschließenden Feuerstürmen vergleichbar schreiendes Unrecht und fürchterliche Tragödien abgespielt. Das Mahnen und Gedenken gehört somit unabdingbar zu unserer Stadt! Es gilt daher eine zukunftsfähige Erinnerungskultur in einem Format auch für die Jugend in unserer Stadt zu schaffen, die zu über 50% keinen familiären Bezug zu den damaligen Ereignissen hat. Zudem haben 43% der heutigen Stadtbevölkerung einen Migrationshintergrund.

Zum anderen ist ein Weg zu finden, wie künftig identitätsstiftend mit der Marke „Goldstadt“ umzugehen ist. Die Uhren- und Schmuckindustrie hat über Jahrzehnte Pforzheim geprägt und zu Wohlstand geführt. Heute ist diese Industrie eine unter vielen anderen zum Teil heute erfolgreicheren Industrien wie z.B. Medizintechnik und Stanztechnik, die wiederum auch aus der Schmuckindustrie hervorgegangen sind, sowie Informationstechnik und Maschinenbau.

Zudem hat die Stadt inzwischen die viertgrößte Hochschule für Angewandte Wissenschaften des Landes auf der Gemarkung, die wiederum einen Design-Studiengang Schmuck anbietet.

Zur Aufwertung des Wirtschaftsstandortes und zur Förderung des „Wir“-Gefühls in der Bevölkerung hat der Masterplan als Ziel hervorgebracht, einen Markennamen für die Stadt festzulegen. Die Marke „Goldstadt“ wird für die Tourismusbranche als wertvoll angesehen. Gleichwohl soll zur Stärkung des Standorts eine alle Besonderheiten und Gegebenheiten umfassende Marketingstrategie entwickelt werden. Wichtig ist dabei, dass ein Weg gefunden wird, damit sich auch die Jugend als Bevölkerungsteil mit Pforzheim positiv identifizieren kann.

7 Thesen zur Nutzung jugendlicher Impulse für die Stadt:

1. Die Jugend ist die Zukunft von Pforzheim. Damit sich die Jugend in der Stadt wohlfühlt bedarf es eines Konzepts, wie Informationen über die Entwicklungen in der Jugend und von Jugendlichen bei der Stadtentwicklung gesammelt und berücksichtigt werden können.

Ein solches Konzept kann nur mit der Jugend zusammen entwickelt werden und muss viele Facetten berücksichtigen. Einige Facetten habe ich bereits angesprochen.

2. Es bedarf aktiver Fürsprecher in den verschiedenen Gremien der Stadt (Anwälte der Jugend). Nichtsdestotrotz sollte die Einbindung von Jugendlichen in klassische Planungsprozesse stattfinden.
Bisher scheinen dafür Strategien und Instrumente zu fehlen, um die Belange von Jugendlichen mit ihren besonderen Ansprüchen an die Stadt zu berücksichtigen.

3. Jugendliche liefern Expertenwissen. Sie können wichtige Impulsgeber für Entwicklungsprozesse in ihren Stadtteilen oder auf gesamtstädtischer Ebene sein. Sie können eigenständig Verantwortung bei der Entwicklung und Gestaltung Pforzheims übernehmen. Die Stadt muss sie nur ansprechen und anregen, ihre Ideen für „Ihre“ Räume selbständig zu produzieren.

4. Die Übernahme von Verantwortung durch Jugendliche führt zwangsläufig zu einer größeren Identifikation mit der Stadt, in der man nicht nur wohnt sondern sich auch engagiert.

5. Die Einbindung der Jugend in Planungsprozesse ist mit den gängigen Methoden der Bürgerbeteiligung nicht machbar. Jugendlicher ist nicht gleich Jugendlicher. Herkunft, Lebensstil, Geschlecht, ethnische, soziokulturelle und bildungsbezogene Differenzierungen sind zu berücksichtigen. Wenn Jugendliche an der Stadtentwicklung teilhaben sollen bzw. wollen, muss die Zugehörigkeit zum jeweiligen Milieu im Blick behalten werden. Diese Zugehörigkeit prägt die Ansprüche an die Stadt, die sich durchaus nicht mit den Bedürfnissen der anderen Mitbürger in Übereinstimmung bringen lassen.

6. Die Stadtverwaltung setzt sich proaktiv mit den Interessen der Jugend auseinander. Planungen und Maßnahmen können passgenauer entwickelt werden. So kann über die Zeit eine Gesprächskultur
zwischen den offiziellen Akteuren und den Jugendlichen wachsen, die von Verlässlichkeit und Vertrauen geprägt ist. Keine Anlaufzeit braucht es, dass sich die Verantwortlichen auf Augenhöhe mit den Jugendlichen begeben.

7. Da die Jugendlichen einen wesentlichen Teil Ihrer Zeit in Bildungseinrichtungen zubringen, könnten
diese als potentielle, verlässliche und langfristige Partner bei der strukturierten Einbindung von Jugendlichen
in Planungsprozesse angesehen werden. Auch von öffentlichen Jugendeinrichtungen können bedeutende
Impulse ausgehen, wenn sie von der Jugend angenommen sind und daher stark frequentiert werden.

Mit dem Masterplan soll ein integrierendes, umfassendes Stadtentwicklungskonzept erarbeitet werden, welches alle Lebensbereiche abdeckt, Planungen miteinander verknüpft und ein Zielsystem für die kommenden 10-15 Jahre beinhaltet. Gerade dabei muss es darum gehen, dass Pforzheim lebens- und liebenswerter für unsere Kinder und Jugendlichen wird. Eine überdurchschnittlich starke Beteiligung der Jugendlichen, die keine Zusatzbelastung darstellen muss, dient der Legitimation der Entscheidungen.

Die Verantwortlichen zuvorderst aber auch wir alle sollten bei künftigen Entscheidungen und Maßnahmen zum einen neue Wege suchen und gehen, um die Jugendlichen noch aktiver einzubeziehen. Zum anderen ist die Brille der Jugend aufzusetzen, um die andere, jugendliche Perspektive zu verstehen.

Dann lässt sich im besten Sinne zukunftsorientiert agieren.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

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